Reisetagebuch Georgien 2019

Georgien 2019

Unsere Reise auf den Balkon Europas

Der Wecker klingelte heute morgen viel früher, aber deutlich freundlicher als sonst. Etwas überrascht davon, wie schnell die letzten Tage vergingen, kippte dieses Ich-kanns-kaum-erwarten-Gefühl auf den letzten Drücker in ein Mach-mal-langsam-bin-noch-nicht-fertig-Gefühl. War noch etwas zu erledigen? Das geht dann fließend über in die Ich-hab-doch-bestimmt-was-vergessen-Gewissheit. Und genau dieses Gefühl verfliegt jetzt langsam im wahrsten Wortsinn, denn wir sitzen im Flieger und könnten ohnehin nichts dagegen unternehmen. Und was bis jetzt nicht aufgefallen ist, ist auch nicht wichtig! Die Vorfreude auf das Gastgeberland hat uns schon voll in den Bann gezogen.

Die Reise führt uns auf den Balkon Europas - den zwischen Großem und Kleinen Kaukasus und Schwarzem und Kaspischen Meer: nach Georgien. Mindestens zwei weitere Orte beanspruchen diesen Namen mit demselben Stolz für sich: die Brühlsche Terrasse in Dresden und der schönste Balkon Europas, die Wallanlage Corniche in Luxemburg. Mir gefällt gerade die georgische Interpretation eines Balkons ganz gut: Vom äußersten östlichen Zipfel Europas blickt man herab vom Kaukasus auf den Rest des Kontinents. Genau das haben wir vor.

Es soll eine Reise werden, bei der nicht alles vorgeplant und Raum für Spontanität ist. Natürlich haben wir Route und Zeitplan vorab grob durchgeplant. Wir haben uns über Sehenswürdigkeiten, mögliche Fallstricke, die georgische Mentalität, absolute No-Gos, das Sozialverhalten, die Sprache, Reisewarnungen und Impfungen informiert. Eben über das ganze Gebammsel, das man generell überall außerhalb von Hotel und Ferienanlagen sehr, sehr gut gebrauchen kann. Und bislang hat das immer sehr gut geklappt, auch komplett ohne Sprachkenntnisse.

Generell ist mein Eindruck, dass man mit solcher Art zu reisen nicht nur flexibel bleibt und sich einiges an Enttäuschung erspart. Sondern auch, dass man dadurch schneller die Scheu vor dem Unbekannten vor Ort verliert - man muss ja schließlich noch eine Menge vor Ort organisieren.

Gut, in einem Flieger voller Georgier sind wir nun auf dem Weg in ihr Land - mit (angelesenen) absoluten "Grundkenntnissen" über sie ausgestattet (Reiseführer und -reportagenniveau). Dagegen die Georgier hier im Flieger: Jeder von ihnen hat "Praxiserfahrung mit uns". Viele der Leute hier haben wohl in Deutschland Arbeit gefunden, können auf deutsch fluchen und finden sich sehr gut zurecht. Sie machen generell einen sehr ruhigen, unaufgeregten Eindruck. Ich wurde angefixt und bin jetzt einfach nur gespannt, wie wir uns, tapsig wie wir uns manchmal anstellen, in ihrem Land zurechtfinden werden, vor allem aber wie sie ticken.

Ich finde, oft gibt es so einen Punkt auf der Reise, an dem auch das Hirn begriffen hat, dass es die gewohnte Umgebung verlässt und in eine "andere Welt" unterwegs ist. Dieser Augenblick kam bei dieser Reise schon relativ früh beim Boarding - einfach wegen der Überzahl der Georgier hier.

Nunja, es ist Punkt 12:00 Uhr Berliner Zeit. Unter uns ist mittlerweile weit und breit nur noch ein endloses, verträumtes Blau zu sehen: Wir überqueren das Schwarze Meer. Seit knapp zweieinhalb Stunden sind wir in der Luft. Dreieinhalb Flugstunden sind angesetzt. 3000 Kilometer trennten uns bei Abflug von unserem Zielort Kutaissi. Sie ist die drittgrößte georgische Stadt und soll uns einen sanften Einstieg unserer dreiwöchigen Entdeckungsreise bescheren.

Den Ablauf haben wir uns grob so vorgestellt:

  • 28.8.: Ankunft Kutaissi, Bustransfer zum Hotel
  • 28.8.-31.8.: Kutaissi, Natur + Gelati-Kloster
  • 31.8.: Marschrutka nach Tbilissi
  • 31.8.-5.9.: Tbilissi mit Tagesausflügen nach Davit Garedscha, Mzcheta und Upliziche
  • 5.9.: Marschrutka nach Signagi
  • 5.-9.-7.9.: Signagi und Kachetien (Wein!)
  • 7.9.: Fahrt über Tbilissi nach Stepantsminda
  • 7.9.-10.9.: Stepantsminda und Kasbek (Wandern bis die Schuhe dampfen!)
  • 10.9.-11.9.: Marschrutka über Tbilissi, Nachtzug nach Batumi?
  • 13.9.: Marschrutka nach Mestia/Ushguli, abhängig von Verbindung
  • 13.9.-17.9.: Mestia, Ushguli, Swanetien
  • 17.9.: Marschrutka nach Batumi, Nachtbus zum Flughafen Kutaissi? Rückflug

Ein Besonderheit des georgischen Nah- und Fernverkehrs taucht in dem Plan besonders häufig auf: die sogenannten Marschrutkas Marschrutki. Das ist einer der ersten Begriffe, den man versucht schon während der Reisevorbereitungen entschlossen im Kopf zu behalten. Marschrutki sind kleine Personenbusse, die die Hauptlast des öffentlichen Personentransports tragen und den gemeinen Touristen (und Nichttouristen) über das schlecht ausgebaute, holprige Straßennetz an jeden Ort transportieren, den man begehrt.

Bei der Planung war uns vor allem wichtig, dass wir uns möglichst viele Freiheiten vor Ort lassen. Vor Ort lässt sich meist besser beurteilen, wie lang die optimale Verweildauer ist. Uns war auch wichtig, dass wir genügend Zeit im Kaukasus und in der Weinebene verbringen können. So haben wir von zuhause aus nur das absolute Minimum gebucht: den Flughafentransfer zum Hotel in Kutaissi und die Hotels in Kutaissi und Tbilissi. Letzteres auch nur, weil wir uns recht sicher waren, wieviel Zeit wir in Tbilissi und Umgebung verbringen wollen. Interessant wird es dann, auf welche Weise wir in den ländlicheren Regionen Unterkünfte finden. Da sind wir wahrscheinlich etwas von unserer Kubareise verwöhnt, denn man wurde absolut spontan von vertrauensvollen Händen direkt in vertrauensvolle Hände weitergegeben ohne auch nur einen Handgriff zu machen. Wir lassen es einfach auf unsere eigene vor-Ort-Erfahrung ankommen.

Der erste Eindruck zählt nicht

A propos ankommen. Das Festland ist sichtbar. Es wirkt genauso kontrastlos und verträumt wie seit einer gefühlten Ewigkeit das Schwarze Meer. Wir gehen in den Sinkflug. Langsam wir das grüne Land immer kontrastreicher und bunter. Man kann erste Häuser erkennen, einen Hafen, Landwirtschaft, Straßen, einen offenbar fast komplett ausgetrockneten Fluss. Am Horizont sieht man eine weiße Bergspitze über die Wolken ragen. Ob es der Mount Ushba ist?

Beim Landeanflug entsteht, wie ich finde, schon allein beim Aus-dem-Fenster-gucken der erste Eindruck vom Gastgeberland wie er nie wieder während der Reise bestätigt wird. Warum eigentlich? Geht's nur mir so? Auch Berlin war mir beim Abheben aus der Höhe irgendwie fremd. Ich nehme den ersten Eindruck aus Interesse zur Kenntnis. Wir fliegen an einem Flughafen vorbei. Bei der Höhe könnte es tatsächlich Kutaissi sein, denke ich. Kurz darauf fliegt der Pilot den ersten von zwei sehr spitzen, steilen Kurven. Jupp, das war er, denke ich. Ausfahrt verpasst? Routine? Weil's Spaß macht? Ich halt mich mal besser fest. Wir sehen uns an Land wieder...

Auf Kutaissis Spuren