Reisetagebuch Georgien 2019

Über die Berge in die Hauptstadt

Von Kutaissi nach Tbilissi

Der Tag beginnt früh. Viel zu früh vor dem Hintergrund des gestrigen Abends. Zwei Flaschen Tsinandali, jeweils ein Chacha und das Packen haben den Schlaf etwas unerholsam gemacht. Um 6:25h klingelt der Wecker also unfreundlicher als sonst, aber doch sehr effektiv.

Wir sind bereit. Leila hat uns ein Frühstückspaket geschnürt. Dessen Inhalt: Jeweils zwei Brötchen, Nektarinen, jeweils zwei Eier und auf das Highlight, naja, da müssen wir wohl noch warten. Sie hat bereits mehrfach angekündigt, dass sie Anzori zum Khachapuriholen schickt. Um 7:30 soll er kommen und uns zum Busbahnhof fahren. Um 7:34 wird sie selbst nervös und ruft ihn kurzerhand an. Er kommt gleich, meint sie. Er warte wohl noch auf die backfrischen Käsepizzen. Zwei oder drei Minuten später kommt er vorgefahren und wir beladen unseren Kofferraum mit unserem Gepäck, verabschieden uns von Leila und bedanken uns. Es fällt ihr aber noch ein, dass sie doch gerne mitkommen möchte. Für heute haben sich sechs Polen angekündigt, für die sie auftischen möchte. Dafür braucht sie Zutaten vom Basar. Unsere Marschrutka fährt um 8:00 vom Busbahnhof in Kutaissi, der etwa sieben Kilometer entfernt ist. Es ist 7:40 und auch Leila sitzt nun im Auto, Haus abgeschlossen, Müll mitgenommen. In der Vorbeifahrt wird unterwegs noch Müll entsorgt und mit Blick auf die Uhr werde auch ich nervös. Ob wir's noch schaffen? Und wenn ja, gibt es noch Plätze?

Wir genießen unterwegs ein wenig die letzten Eindrücke der Stadt, die uns so freundlich in Georgien begrüßt hat. Die Stadt zeigt sich noch ungeschäftig, von Frühstück im Lokal ist noch nicht zu träumen. Nach gefühlt sehr kurzer Fahrtzeit kommen wir dann mitten im Inbegriff des Gewusels an. Ein Durcheinander an Bussen, Fußgängern, Händlern und Pipapo. Leila weicht uns nicht von der Seite und macht uns schon einmal einen Platz im Bus klar. Hektisch verabschieden wir uns von Anzori, der entschlossen das von uns angebotene Fahrtgeld ablehnt. Unsere schwersten Rucksäcke werden im "Kofferraum" der Marschrutka verstaut, den Rest behalten wir bei uns. Nun gibt's allerdings noch zusätzlichen Ballast, der auch irgendwie gezähmt werden will: Das Frühstückspaket, unsere Getränke und die noch glühenden Khachapuri. Wohin damit? Egal wo du sie hinlegst, sie tun weh! Wir, die einzigen Ausländer im Bus, hängen kurzerhand ihre dampfenden Backwaren über ihren Köpfen an den Rucksackstrippen auf. Los geht's.

Die Fahrt ist interessant, sowohl landschaftlich als auch was das Soziale in den paar Quadratmetern Blechbüchse angeht. Wie gesagt, wir sind die einzigen, die kein Wort verstehen. Und immer wenn der Rest lauter wird, werden wir etwas aufmerksamer. Das erste mal, als die Dame auf der Rückbank etwas zu beklagen hat. Es folgt ein lauter Wortwechsel mit dem Fahrer. Ich glaube "laut" und "Wortwechsel" gehören hier einfach zusammen sobald man eine Meinung hat. Bei diesem lauten Wortwechsel geht es wohl um unser aller Gepäck. Die Kofferraumtür ist offenbar nicht richtig verschlossen. Banal, aber auch das muss diskutiert werden. Unter heftigstem Protest hält unser Fahrer an, knallt nochmal die Tür zu und fährt weiter.

Wir fahren in der noch tiefstehenden Sonne durch grüne, vernebelte Feldlandschaften. Mittendrin liegt die georgische "Autobahn", die uns ein zügiges Vorwärtskommen ermöglicht. Uns fallen im Wechsel immer mal wieder die Augen zu und wir bekommen nur noch bruchstückhaft etwas mit. Die Stadt Zestaponi liegt auf dem Weg, bekomme ich noch mit, und, dass es immer höher in die Berge geht. Plötzlich werden wir wieder aufmerksam, das Geschrei fängt wieder an. Wir haben wohl etwas überfahren. Was genau wissen wir nicht. Besser so.


Genau zur Halbzeit, exakt um 10h legen wir eine Pause ein. Alle vertreten sich die Beine. Wir sind längere Zeit über einen Bergpass gefahren, auf dem unser 23-Sitzer merklich Schwierigkeiten hatte, Schrittgeschwindigkeit zu halten. Irgendwas stimmt mit dem Auto auch nicht, so, als würden ein paar Gänge fehlen. Aber solange wir gut ankommen, darf's mir egal sein. Alle steigen ein. Der Fahrer feuert den Motor an. Einer fehlt. Er hupt, läuft nervös ins Gebäude, kommt wieder zurück, hupt abermals. Ein Mitfahrer läuft ins "Raststätten"gebäude. Ich höre ein Wort, das sich nach Toilette anhört. Der Bus amüsiert sich. Jupp, passt zusammen. Und die Stimmung im Bus ist mittlerweile gut. Knappe fünf Minuten später ist auch wieder der letzte Platz besetzt.

Kurz vor zwölf erreichen wir Tbilisi. Es scheint eine schroffe, bergige Stadt zu sein. So der erste Eindruck. Wir kriegen einen kleinen Schreck als wir merken, dass wir am ganz anderen Ende der Stadt halten. Wieso bin ich fest davon ausgegangen am Friedensplatz zu halten? Wieder ein klassischer Fall von "schlecht vorbereitet", würde ich sagen. Wir packen unseren Kram und finden uns wieder mitten im Getummel von Händlern, Taxifahrern, Verkäufern und Bettlern. Jeder möchte etwas von uns. Und wir möchten einfach nur hier weg, zur Metro. Teresa findet den Weg dorthin recht schnell, während ich noch durch die Gegend gucke. Aber die Motivation jetzt zur Kamera zu greifen ist bei ungefähr null. Ohne die georgische Schrift zu können ist alles ein wenig umständlicher. Das fängt damit an, dass wir nicht wissen, wie wir die Tickets lösen, und endet mit "wo müssen wir eigentlich aussteigen?". Zum Glück ist alles viel einfacher als erwartet. Plastikkarte mit zwei bereits aufgeladenen Fahrten für 3 Lari gekauft, Schranke passiert und auf den nächsten Zug warten. Laut Anzeige kommt der in etwas über zwei Minuten.

Ganz ähnlich zu den georgischen Autofahrern hält sich auch die U-Bahn an den Grundsatz: Fährste schneller, biste schneller da! Wir rasen die paar Stationen bis zum Friedensplatz gefühlt immer weiter in die Tiefe. Es ist holprig und es sind kaum Touristen in der U-Bahn. Aber wir haben keine Chance unseren Ausstieg zu verpassen - die schnellen georgischen Durchsagen gehen in einen vertrauten Wohlklang gut verständlicher englischer Durchsagen über.

Eine handvoll U-Bahnstationen später sind wir dann da, das ist schonmal geschafft. Kaum wieder Tageslicht erblickt fällt uns aber die viele Polizei auf. Alles ist abgesperrt und es stehen Panzer in der parallel zur länglichen U-Bahnstation verlaufenen Straße. Ein etwas mulmiges Gefühl packt uns. Da wir uns hier kaum mit tagesaktuellen Nachrichten auseinandersetzen, wissen wir nicht ob es mit der angespannten Lage zwischen Russland und Georgien zu tun hat. Derartige Aussagen sind uns bereits in Georgien begegnet. Nunja, die direkte Konsequenz für uns ist erstmal, dass wir einige hunder Meter zusätzlich zu den 800m bis zur Unterkunft einplanen müssen. Aber Navigatorin Teresa hat alles bestens im Griff. Ich starre derweil Löcher in die Luft und versuche die Eindrücke mitzunehmen, immer den einen Fuß vor den anderen setzend und im Augenwinkel noch die Löcher in der Straße wahrnehmend.

Der Zugang zu unserer Unterkunft

Unsere Unterkunft ist sehr unscheinbar. Es kommt Berliner Hinterhoffeeling auf, bloß ein wenig exotischer. Wir sprechen den älteren Herren an, der auf seiner Terrasse sitzt. "Hostel?". "No, no hostel!". Verflixt nochmal, wir haben doch das Schild mit einem dicken Pfeil auf den Innenhof zeigend gesehen. Wir probieren's nochmal: "Appartement?". "Yes, yes appartment!". Er ruft georgisch-laut nach seiner Nachbarin. Sie telefoniert und hört seine durchdringende Stimme nicht auf Anhieb. Erstaunlich! Er probiert es noch einmal. Mit Erfolg. Uns wird stolz das wirklich nette Appartement präsentiert. Wieder auf russisch. Als Krönung wird dann noch stolzer der Wasserhahn aufgemacht. Fließend Wasser. Welche Bedeutung das hat, merken wir erst, als wir es uns gemütlich machen wollen. Näschchen pudern und so. Jetzt auch noch das: Kein Wasser.

Blick auf den Funkturm hoch oben auf dem Berg. Da kommt man mit der Seilbahn hoch.

Der Sohn, unsere eigentliche Kontaktperson, kann ein wenig englisch und kommt eine Viertelstunde später herein um uns zu begrüßen. Ja, sagt er, halb Tbilisi ist ohne Wasser. Müsste bald vorbei sein. Und das mit den umfassenden Sperrungen und dem Polizeiaufgebot habe damit zu tun, dass hier ein großer Filmdreh stattfindet. Kurz darauf die Sachen gepackt machen wir uns also auf den Weg ein wenig die Umgebung zu erkunden und verschwenden keinen Gedanken mehr an die merkwürdigen Umstände.

Wir sehen hier und da Menschen mit Wassereimern, die sich an den öffentlichen Wasserstellen versorgen. Und auch sonst laufen die Leute - Einheimische wie Touristen - unbeirrt an der Kriegsszenerie vorbei. Insgesamt ist es hier deutlich geschäftiger, westeuropäischer als in Kutaissi. Klar, die Häuser sind in einem ähnlichen Zustand, aber wir sehen sehr viele Mittel- bis Oberklassewagen deutscher Marken hier herumfahren. Wir müssen mit der Stadt noch ein wenig warm werden und entschließen uns, in die Altstadt zu gehen. Die ist sehr gemütlich, touristisch gesehen aber auch ein wenig strapaziert. Die Leute, die einem etwas andrehen wollen, sind offensiver. Die Blinkereklamen heller, das Getummel mehr.

Wir trinken ein Bier in einem Laden, der sich sympathischerweise KGB nennt. Auf den Shirts der Kellner steht: "KGB - still watching you.". Ein wenig Nachbarschaftskritik oder drolliger Humor? Wir lassen diese Frage unbeantwortet und lassen unser Nervenkostüm ein wenig von den vielen schottischen Touristen strapazieren. Heute ist ein Spiel - Rugby denken wir - und sie sind in voller Montur samt Kilts und Dudelsack angereist. Und mit stolzer Brust wird leicht angeheitert die Nationalhymne auf dem Dudelsack gedudelt. In diesem Licht wirkt unsere Reisevorbereitung wie ein Freibadausflug, bei dem man es hinbekommen hat die Badehose nicht zu vergessen. Dieser Punkt geht an die Schotten, dennoch sind wir froh als sie weiterziehen.

Khachapuri und Gepäck sind hier wichtig. Typische Straßenszene

Wir spazieren noch ein wenig durch die Gassen Tbilisis, versuchen einen groben Eindruck von der Altstadt zu bekommen. Es wird langsam dunkel und wir wollen uns mit dem Grundstock an Wasser und Was-mit-Geschmack eindecken, anschließend in die Unterkunft gehen um nach dem Wasser zu schauen, uns kurz frischmachen und dann wieder zurück um zu Abend zu essen. Dieser Tag ist tatsächlich nicht als Sightseeing-Tag geplant. Wir wollen gemütlich ankommen, schließlich können wir uns die nächsten vier vollen Tage frei einteilen. Bloß kein Stress. Und auch das Wasser läuft wieder.

Dreamteam: Teresa mit Khinkali!

Wir landen Abends dann im französisch geführten Restaurant Metis. Die Preise sind für tbilisische Verhältnisse niedrig, es gibt ein gutes Angebot an Weinen und georgischen Speisen und man kann auf dem Dach sitzen mit einem wunderbaren Blick auf die Dächer dieser östlichen Metropole. Wir fühlen uns wohl hier, Hauptsache die Khinkali sind gut. Alles andere ist auch gut.

Blick vom Restaurant auf die Dächer der Stadt

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