Reisetagebuch Georgien 2019

Tag 8: Tbilissi ungeplant

Heute stehen wieder Eindrücke der georgischen Hauptstadt auf dem Reiseplan. Nachdem wir die Ausflüge ins Umland gemacht haben, sind wir froh den letzten Tag noch einmal bequem ohne Zeitplan in die noch nicht erkundeten Teile der Stadt aufzubrechen. Wir frühstücken den letzten Rest vom Weißbrot und werfen nochmal schnell die Wäsche an.

Tbilissis älteste Bäckerei steht so gut wie in jedem Reiseführer und soll ein wahres Erlebnis sein, für's Auge wie auch für den Gaumen. Das schmale Frühstück spielt uns damit gut in die Karten. Wir brechen gegen dreiviertel Zehn auf und marschieren wie sonst zum Sioni 13, unserer Khinkali-Bier-Location, zur nebenan gelegenen Bäckerei. Es geht einige Stufen abwärts in den Keller und deutsche Rentner belagern fasziniert bereits den Laden.

Das Brot wird hier auf traditionelle Art, in einem großen, in den Boden versenkten Rundofen gebacken. Wir entscheiden uns für Schmalzgebäck und Kartoffeltaschen. Gierig machen wir uns im nahegelegenen Park über die Leckereien her und planen ein wenig die Eckpunkte unseres Marsches. Genug Energie sollten wir jetzt bereits für zwei Tage getankt haben!

In der ältesten Bäckerei

Gestärkt und neugierig machen wir nochmal einen kleinen Abstecher in das verwinkelte Betlemi-Viertel. An der Moschee vorbei bis zum botanischen Garten. Es liegt dieses Knistern in der Luft, voller Neugier und Vorfreude. Diesmal kann ich es sogar hören. Es wird leider verursacht von dem halbleeren Blister Tannacomp. Auf dem Weg zu den Schwefelbädern sehen wir, wie eine offensichtlich sehr wichtige Person abgeholt wird: Zwei schwarze Limousinen, ein Sonnenschirmbediensteter, der auch auf den anderthalb Metern zwischen Wohnungstür und Limousine dafür sorgt, dass sein Schützling bloß nicht zu viele Photonen abbekommt.

Die Dächer der Schwefelbäder

Die Schwefelbäder haben markante, runde Kuppeldächer, die sich fast auf Straßenniveau befinden und die betreten werden können. Ab und zu weht eine schwache Brise fauler Eier durch die Luft. Gestern hatten wir noch gecheckt ob sich ein Abstecher ins Innere inklusive Peeling oder Bad lohnen würde. Die nötige versäumte Vorreservierung half uns allerdings bei der Entscheidung. Von den Schwefelbädern aus hat man einen guten Blick auf die Nariqala-Festung und auf die Seilbahn. Unter uns fließt ein Bach, den wir uns mal näher anschauen möchten. Hier gibt es viele Frösche und kaum ein Tourist verirrt sich in diese versteckte Ecke.

Direkt hinter uns führt ein Eingang in die Tiefen des georgischen Untergrunds. Er ist auf englisch beschriftet mit "Fotogalerie, Wettbewerbsausstellung". Klingt spannend, schauen wir uns mal an. Beim Betreten ahnt man allerdings noch nicht wie lang dieser Tunnel eigentlich ist. Es wirkt eher wie eine begehbare Kanalisation, links und rechts begleiten uns zahlreiche Großformatdrucke auf Plastikplanen mit eindrucksvollen Fotografien internationaler Lichtmaler.

Unterirdische, versteckte Fotogalerie

Einige hundert Meter weiter sehen wir ein Licht am Ende des Tunnels. Wir verlassen ihn über einen kleinen Steg, der etwas unterhalb der Wasserlinie des Flusses liegt. Der Steg ist ringsum erstaunlich gut abgedichtet mit Plastikplanen und gehört offensichtlich zu einem Café. Von hier aus kommt man direkt über die Metekhi-Brücke zur Metekhi-Kirche, die auf einem Hügel über dem Fluss Mtkwari throhnt. Wir bekleiden uns ordnungsgemäß und wagen einen Blick hinein. Kunstvoll, aber sehr ähnlich zu den Klöstern und Kirchen, die wir bislang gesehen haben. Beim Verlassen der angenehm kühlen Kirche stoßen wir auf ein deutsches, älteres Ehepaar. Sie empören sich gerade, als sie vom Ordner zurechtgewiesen werden, die Kirche nur bedeckt zu betreten. Beleidigt entscheiden sie sich gegen einen Besuch. Wir schütteln mit dem Kopf, beschämt und belustigt zugleich über unsere Landsleute, die hier eigene Regeln des religiösen Respekts aufstellen wollen. In den weniger touristischen Gassen umherschweifend ziehen wir von dannen. Es ist wieder unerträglich heiß.

Die nächste geplante Station ist die gewaltige Sameba-Kathedrale , die man von jeder Anhöhe der Stadt sehen kann. Wir haben keinen Weg dorthin vorgeplant, sondern laufen einfach durch die verwinkelten Gassen an den bröckelnden Fassaden der zweckgemäßen Wohnhäuser vorbei. Wie aus dem Nichts stehen wir plötzlich vor dem Haupteingangstor der Kathedrale. Ihre Wucht erschlägt uns.

Erst im Jahr 2004 fertiggestellt worden, ist sie von dem damaligen Patriarchen initiiert worden um das größte georgische Gotteshaus zu errichten, hören wir den neben uns stehenden Guide erläutern. Da wollte sich wohl jemand in den Geschichtsbüchern verewigen und das dürfte ihm gelungen sein! Sie steht auf einer Anhöhe, wirkt dadurch noch wuchtiger. Im Inneren ist sie dann deutlich weniger pompös, ein wenig schmucklos sogar. Hier wird noch tüchtig gearbeitet: Verputzt, verziert, gemalert. Die wahre Größe eröffnet sich dann allerdings, als wir ein etwas verstecktes Treppenhaus betreten. Die Anzahl und Größe der unterm Hauptraum befindlichen Räumlichkeiten sind enorm: Konferenzräume, große Vorhallen und... eine weitere beachtlich große Kirche. Es riecht überall noch nach nassem Putz, es wirkt modern und sauber - nur die Lampen sorgen mit ihren Spinnweben für altertümliche Atmosphäre.

Die Eindrücke verdauend blicken wir noch einmal hinter uns und begutachten das teure Statement des georgischen Patriarchats. Wir wollen uns, genauso ungeordnet wie wir hier hergekommen sind, allmählich zum Basar vorkämpfen. Nicht unbedingt auf direktem Wege, einfach nach Gefühl in die Richtung laufen. Auf dem Weg liegt der Antikbasar. Eine Art Lager voll mit altem Geschirr, Lampen, Kitsch. Neben den Händlern sind wir die einzigen. Wir fühlen uns fehl am Platz und belassen es bei einem kurzen Blick.

In dieser Gegend ist es überhaupt nicht touristisch. Zwei Straßen weiter schaut die Welt ganz anders aus. Nicht nur die Touristenschar wird deutlich größer, sondern es mischen sich auch Geschäftsleute unter die Menge, die man bisher nur vereinzelt in der Nähe von Hotels wahrgenommen hat. Es ist die Art von Geschäftsleuten in feinen Anzügen, mit Krawatten und Manschettenknöpfen.

Die von dieser Straße abgehenden Seitenstraßen geben wieder ein sympathischeres Bild ab. Wir biegen in eine solche ab und landen kurz darauf in der Agamashenebeli Avenue. Eine Fußgängerzone, in der sich eine Shisha-Bar an die nächste reiht. Den Getränkekarten nach zu urteilen werden alle vom selben Inhaber geführt. Die Kellnerinnen sind aufdringlich. Wiegeln wir bei der einen ab, kommt schon die nächste. Finden wir zuerst lustig und müssen lachen, schließlich lassen auch die Kellnerinnen erkennen, wie absurd die Situation ist. Hier will wahrscheinlich jemand nahezu hundert Prozent der Kundschaft abgreifen.

Wir entscheiden uns für eine kurze Einkehr in einem unscheinbaren Fish & Chips-Restaurant, einfach nur um ein Bier zu trinken, Knoblauchbrot zu snacken und grob die anstehenden Wegpunkte nach dem Basar festzulegen. Auf jedem Tisch liegt eine Karte aus, die Kellnerin bringt eine weitere, ausführlichere. Sie gibt vor, nur schlecht englisch zu verstehen, daher zeigen wir mehrfach mit dem Finger auf das Bier für jeweils fünf Lari und das Knoblauchbrot. Sie willigt ein, bringt uns zwei Flaschen, zwei Gläser und kurz darauf auch das mit Käse überbackene, leckere Knoblauchbrot.

Als die Flaschen schon offen sind, bemerken wir, dass es sich wahrscheinlich nicht um das günstige Craft Beer von Shavi Lomi handelt, sondern um das doppelt so teure IPA. Zu spät um es zu bemängeln, aber es kam hier auch schon öfter vor, dass mangels Verfügbarkeit der bestellten Sorte einfach eine andere gebracht wurde. Zum selben Preis, ein wenig Glücksspiel also.

Beim Bezahlen dann werden uns tatsächlich 2x10 Lari für das Bier berechnet. Die anglophobe Kellnerin herbeigerufen ruft sie sofort nach Verstärkung - der Inhaber scheinbar, der uns die Situation in astreinem Englisch erklärt. Teresa erläutert die Situation, dass wir eindeutig mehrfach mit unseren Fingern auf die gewünschten Waren gezeigt hätten. Wir wittern System dahinter und lassen tatsächlich nicht locker. Er erklärt uns dann ausführlich unter Zuhilfenahme mehrerer unterschiedlicher Bierflaschen, dass er nur Shavi Lomi im Sortiment habe, ob seine Kellnerin denn nicht die andere Karte gebracht hätte. Ich entgegne, dass uns die zweite Karte nicht interessiert. Die die von Anfang an auslag, das war die auf die wir gezeigt haben. Er missversteht mich, entgegnet, dass ich ihm nicht erzählen soll, dass es nicht mein Problem wäre. Doch, bei den deutlichen Zeichen hätte ich es genauso sagen können.

Er lenkt ein, würde einen Discount anbieten. Statt 25 Lari stehen nun 12 auf der Rechnung. Wie auch immer die Zahl zustande kommt. Wir bezahlen die 17 Lari, die uns das Ganze regulär gekostet hätte. Ein Blick in die Google-Bewertungen bestätigt unsere Annahme mit dem systematischen Verkauf teurerer Getränke. Wir ziehen ab, auf direktem Weg zum Basar.

Überall sind lebende Fische zu kaufen und es wird geputzt

Der Basar in Kutaissi ist uns als Feuerwerk der Eindrücke in Erinnerung geblieben. Daher suchen wir unbedingt das direkte Gegenstück in Tbilissi. Er ist nicht schwer zu finden, liegt er größtenteils auch unter freiem Himmel. Unter Pavillons und aus Transporterladeräumen wird hier alles Essbare feilgeboten, was man sich nur vorstellen kann. Riesige Stapel Wassermelonen weisen uns den Weg zu der "Obst- und Gemüseabteilung". Koriander, Granatäpfel, Zitronen und Gewürze sind willkommene Eindrücke für Augen und Nase. Die Fleischabteilung hat Schweine- und Rinderhälften ungekühlt und in der Sonne liegend zu bieten, ganze Schweineköpfe landen dagegen in der Kühlung, ebenso wie Geflügel.

Gewürze auf dem Basar

So frisch wie die Lebensmittel hier hoffentlich sind, so abgehangen sind die Bekleidungsstücke, die hier in Massen verkauft werden. Haufenweise getragene Schuhe und Bekleidung wechselt hier den Besitzer. Wir vermuten, dass die Kleidung als Kleiderspende aus Zentraleuropa gekommen ist. Hier ist man ganz offensichtlich nicht so wählerisch wie bei uns. Im Haufen Schuhe wird gewühlt, die Stücke sind allesamt recht gut erhalten. Es riecht nach Füßen.

Insgesamt hat uns der Basar von Kutaissi besser gefallen. Er ist für den Touristen netter anzuschauen, bunter und intimer. Zweckgemäß und notwendig sind beide offenbar gleich.

Der Mtwari zerschneidet die Stadt in Ost-West-Richtung

Den Basar lassen wir nun hinter uns und nehmen Kurs auf "unsere" Seite der Stadt, die auf der gegenüberliegenden Seite des Mtkwari, spazieren vorbei an Hotels und zahlreichen Baustellen. Für hiesige Verhältnisse sind die Baustellen recht gut abgesichert und die Gehwege säuberlich mit Holzplanken verdeckt. Wir nähern uns der vielbefahrenen Autobahn die den ganzen aus nordwestlicher Richtung kommenden Verkehr in die Stadt leitet. Hier kamen wir schon von unserem Tagesausflug nach Mtskheta und Uplistsikhe vorbei. Linkerhand liegt der Berg Mtatsminda mit dem Vergnügungspark gut sichtbar über unseren Köpfen. Das Riesenrad präsentiert sich stolz von der Seite. Hier haben wir wohl heruntergeschaut, als wir im Park unseren Mittagssnack zu uns genommen haben und über die bunte Mischung aus alt und neu in der Stadt gestaunt haben.

Autobahngewirr

Bloß haben wir jetzt ein Problem: Entlang welcher der Tentakel diesers großen Autobahnkreuzes führt ein Fußweg weit genug nach Osten um uns wieder sicher nach Hause zu führen? Jede Entscheidung ist mit einer erneuten Überquerung der Autobahn verbunden, so scheint es. Wir entscheiden uns für die erstbeste ganz nach Gefühl, vorbei am Treffpunkt von Taxifahrern. Eine Sackgasse wie sich bald erweist. Hier ist Schluss an einer stillgelegten Tankstelle. Wir legen den Rückwärtsgang ein, etwas gereizt denn das Wasser wird knapp. Da entdecken wir doch noch, gut versteckt zwischen Graffiti und Gerümpel eine Unterführung, die uns auf die andere Seite des Autobahnkreuzes bringen wird.

Endlich auf dem richtigen Weg

Wir decken uns mit Wasser und Cola ein, nehmen noch zwei Portionen Instantkaffee für's Frühstück mit und biegen in eine Straße ab, die uns nach längerem Marsch direkt in die Unterkunft führen wird. Vorbei an etwas fragwürdigen Ecken, Nachtclubs, Massagesalons, Trinkhallen und dem nicht zu übersehenden Radisson Blu, das hier alles andere als hineinpasst. Die Straße wird quasi vom Hotelparkplatz unterbrochen, die Fassade ist verspiegelt, die Türen geschlossen, ganz so als sollte das "richtige" Georgien bloß draußenbleiben.

Vorbei an einem Wildwestsaloon, weiteren Massagesalons und der uns bekannten Polizeistation kommen wir in der Unterkunft an.

Abends dann landen wir wieder im Sioni 13. Innen ist eine Privatveranstaltung - Geburtstagsfeier wie es scheint. Draußen füllt es sich. Wir lassen den Tag Revue passieren und bereiten uns auf den Abschied von Tbilissi vor. Morgen geht's nach Signagi in Kachetien.

Im Land des Weines: Sighnaghi und Kachetien Geschichte, Land und Steppe