Reisetagebuch Georgien 2019

Im Land des Weines: Sighnaghi und Kachetien

Der Abschied von Tbilissi fällt uns schwer. Es ist noch so Vieles zu erkunden. Ich könnte hier Monate verbringen und mir jeden einzelnen Winkel dieser Millionenmetropole anschauen. Vielleicht verschlägt es uns in der Zukunft noch einmal hier her.

Jetzt heißt es erstmal den Rest zusammenpacken, Rucksäcke schultern und ab zur Metrostation Freiheitsplatz. Es ist 7:40. Wir müssen vier Stationen ostwärts bis zur Station Samgori fahren. Neben Didube ist das der zweite große Marschrutka-Bahnhof. In Samgori angekommen kämpfen wir uns vor und wissen nicht so recht wohin. Hier sind, genauso wie in Didube, die Marschrutki nach mehr oder eher weniger nach Zielorten sortiert. Die sind größtenteils nur auf georgisch beschrieben. Die Taxifahrer lauern.

Einen unscheinbaren Passanten fragen wir dann doch noch, wo hier die Marschrutki nach Signagi fahren. Gar nicht, da müssten wir nach Didube. Irgendwas stimmt nicht, das macht keinen Sinn, Didube liegt im Westen, Signagi im Osten. Kurz darauf kommt derselbe Mann nochmal auf uns zu, zeigt auf das blinkende Apothekenschild. Dahinter soll's sein. Er scheint sich zuerst geirrt zu haben, und wir sind dankbar und gerüstet für die anderthalb zwei Stunden Fahrt.

Signagi

Signagi wird in vielen Reiseführern Turteltäubchen und Heiratswilligen für einen Romantikausflug empfohlen. Es ist ruhig, klein, sogar ein wenig verschlafen. Verglichen mit dem Tbilisser Marschrutkaplatz sind wir in einer anderen Welt gelandet. Von hier aus kann man gut zu Weingütern ausschwärmen und auf das Alasanibecken herabblicken.

Wir haben eine Unterkunft bei Tsitso und Soso gebucht. Vorerst für eine Nacht, um dann eventuell privat zu verlängern. Die Reiseplattformen behalten nämlich einen großen Teil des Übernachtungspreises für sich, angeblich etwas um die 25 Prozent. Ich versuche mir vorzustellen, wieviele Hundertmillionen Euro da umgeschlagen werden, mir fällt es aber schwer die Anzahl Buchungen grob zu überschlagen.

Nunja, am Marschrutkaplatz angekommen gibt es wahnsinnig viele Gabelungen. Wir haben versäumt uns einen Stecker auf unsere Karte zu setzen. Aber mit dem Durchfragen klappt das ganz gut, denn jeder kennt Tsitso und Soso. Das ist gut.

Unscheinbar ragt das Schild über der Treppe: Tsitso's and Soso's Guesthouse. Wir steigen die paar Treppen auf, werden schon von Weitem freundlich begrüßt und stehen auf der Terrasse mit einer unglaublichen Aussicht auf das Alasanibecken.

Blick von unserer Terrasse

Wir werden auch vom Hausherren begrüßt, Tsitso, ehemals Polizeioberkommissar oder etwas Ähnliches. Er ist für die gesamte Region hier zuständig gewesen und nun in Pension, wird uns Soso später erklären. Das erklärt auch, warum ihn jeder kennt. Das Gepäck verstauen wir in den einfachen Zimmern.

Auf der Terrasse hat es sich auch ein etwas älteres Ehepaar aus Weißrussland gemütlich gemacht. Dreiliterkanister Rotwein mit knapp einem Fünftel Restinhalt. Auch sie begrüßen uns freundlich und hauen stolz die paar Brocken deutsch heraus: "Also, also!", "Jajajajaaaa", "Gut, gut". Zwei sympathische, offenherzige Leute, die uns auch gleich ein Gläschen Rotwein anbieten. Wir schaffen es ganz gut uns auf englisch zu unterhalten, die paar Brocken russisch verstehe ich auch wenn's um Zahlen und Daten geht.

Dima und Natallja reisen heute ab. Wir tauschen Erfahrungen aus. Unterhalten uns über vergangene Urlaube, über die Freundlichkeit der Georgier, über die Lebensumstände in unseren Ländern. Sprich: Wir quatschen uns fest. Immer mal wieder von Soso mit frischem Obst aus ihrem Garten versorgt: Pflaumen, Aprikosen, Weintrauben. Es fühlt sich fast schon familiär an.

Auf dem Marktplatz

Das Dörfchen Signagi liegt etwas höher als 800 Meter über dem Meeresspiegel, hat knapp 2000 Einwohner und aktuell wahrscheinlich fast genauso viele Touristen. Es fühlt sich aber nicht überlaufen an. Wir recherchieren, was man in der Umgebung so alles machen kann, lassen uns von Dima anfixen. Die Umgebung bietet Vieles. Wir entschließen uns spontan noch eine Nacht hinten dranzuhängen und machen uns für einen kleinen Rundgang durch die Ortschaft bereit.

Es wirkt malerisch. Vor allem mit der Aussicht auf das Tal. Die mediterran anmutenden Häuschen, viele mit roten Dächern, entfalten auch eine gewisse Wirkung vor dem grünen Hintergrund der Bäume. Blickt man durch die Fenster der Ruinen und Neubauten in Richtung Tal, sieht man teilweise nur den Himmel hindurch. So steil ist der Hang, auf dem dieser Ort erbaut wurde.

Wir laufen durch ein Stadttor an einer alten Kirche vorbei. Verkäufer bieten hier den typischen Touristenkram an: Süßigkeiten, Keramik, allerhand Nippes und man kann Fotos in Tracht und lustiger Kopfbedeckung von sich machen lassen. Sieht dann aus, als hätte man einen Langhaardackel auf dem Kopf geparkt.

Wir lassen uns davon nicht beeindrucken und kraxeln auf die Stadtmauer. Sie schlängelt sich entlang des Hanges und wird von Wehrtürmen unterbrochen. Von der Mauer führt eine Leiter zu einer Caféterrassee, fast wie eine Poolleiter aus dem Pool heraus. Wir checken die Preise und bestellen Rotwein.

Ich komme ein wenig zum Schreiben, Teresa informiert sich über Unternehmungen in der Umgebung und unseren weiteren Reiseverlauf. Der Rotwein wurde nach Aussagen des Kellners selbst hergestellt, ist schwer und dunkel. Jetzt macht sein mehrfaches Nachhaken tatsächlich Sinn, ob wir denn wirklich einen Liter bestellen wollten. Zwei deutsche Mädels vom Nachbartisch sprechen uns an, ob wir eventuell Lust hätten morgen nach Lagodekhi, einen Nationalpark an der aserbaidschanischen Grenze, zu fahren. Wir tauschen Nummern aus, werden ihnen zusagen, nachdem wir uns ein wenig kundig gemacht haben. Und wir verabreden uns abends mit ihnen in Shio's Restaurant, das uns von Soso empfohlen wurde.

Soso war einst Lektorin an der Uni und sie ist gut vernetzt. Viele ihrer Studenten sind im Dorf geblieben und betreiben Bars und Restaurants. Dieses gehört offensichtlich auch dazu. Der Service ist mies, man fühlt sich nicht ganz willkommen, aber die Preise sind günstig und man hat ein Plätzchen zum Hinsetzen. Die Stimmung ist gut, morgen werden noch zwei weitere deutsche Jungs mitfahren. Wir freuen uns auf die Wandertour.

Lagodekhi Nationalpark

Treffpunkt ist um 9:00 vor der Unterkunft der Mädels. Auf dem Weg dorthin packen wir uns zwei Khachapuri und zwei Hotdogs ein. Die Hotdogs sind für den Weg. Der Siebensitzer rollt an, wie viele Autos hier mit dickem Steinschlag in der Frontscheibe. Der Rest möchte noch einen Zwischenstopp an einem Supermarkt machen. Wir bleiben auf der Hinterbank sitzen. Bequemer als eine Marschrutka ist das Gefährt allemal. Dann geht es zahllose Serpentinen runter ins Tal. Zu Fuß, wie gestern kurz angedacht, wäre das nichts geworden. Eine halbe Stunde später werden wir an der "Rangerstation" herausgelassen. Eine ältere Dame, die ein Feuerchen macht, ist wohl besagter Ranger. Wir starten gut gelaunt, tauschen uns aus, führen angeregte Gespräche. Eine nette Truppe, mehr als eine Zweckgemeinschaft. Wir scherzen noch, ob der vielen Hunde, die die Touristen gewöhnlicherweise begleiten, dass nur noch der Hund fehlt, damit alles perfekt ist. Prompt ist er da: Gut gelaunt, freundlich, mit Ortskenntnissen. Wir sind ab jetzt zu siebt und freuen uns über den netten Zeitgenossen, der uns immer wieder auf den richtigen Weg zurückbringt.

Erst geht es durch den flachen Wald, immer mal wieder den Fluss überquerend. Später nehmen die Anteile zu, die die Wanderung über Fels und Geröll durch den ausgetrockneten Teil des Flussbettes führt. Es wird steiler, anstrengender. Ich ärgere mich, nicht die hohen Wanderschuhe mitgenommen zu haben. Aber vorsichtigen Trittes geht es auch so.

Nach der x-ten Flussüberquerung legen wir eine kurze Rast ein. Die Jungs haben eine Drohne dabei, wollen sie steigen lassen. Unser Ziel am Ende des Trails ist ein Wasserfall. Vielleicht kann man ihn ja schon über den Baumkronen erspähen. Lutz' angestrengtes Gesicht interpretiere ich erstmal als Spaß am Fliegen. Aber es gibt Probleme, die Verbindung ist wohl abgebrochen. Und die Drohne wird nicht zurückkehren, denn für unsere Rast haben wir uns die wohl einzige Stelle entlang der Wanderung ausgesucht, an der GPS nur Wunschdenken ist. Das wird mir im Nachhinein auch meine Trackingapp verraten. Ein letztes Lebenszeichen gibt die Drohne von sich: Sie sei im Sinkflug, das letzte Bild stellt zwei Bäume dar und die Info, dass sie sich 27 Meter unter unserem Höhenniveau befindet.

Die Jungs nehmen es gelassen, verschieben die Suche auf den Rückweg. Wir nehmen das anspruchsvollste Stück in Angriff: Es wird steiler und rutschiger. Die "Brücken" über den Fluss werden abenteuerlicher. Aber am Ende werden wir mit einem fantastischen Blick auf den Wasserfall belohnt. Unsere Begleiter springen in den "Pool" unter dem Wasserfall. Es ist kalt im Wasser und die Gischt des Wasserfalls vermittelt uns an Land gebliebenen einen kleinen Eindruck davon. Der Hund macht es sich gemütlich. Eine gute Stunde verbringen wir hier, froh über die Rastmöglichkeit nach nur 4,5 Kilometern Wanderung.

Wir machen ein Gruppenfoto und bereiten uns auf den Abstieg vor. Mittlerweile ist ein zweiter, größerer Hund zu uns gestoßen, der mit zwei Wanderern hochgekommen ist. Beide Hunde begleiten uns auf dem für Ungeübte anspruchsvollen Abstieg.

Für den Abend verabreden wir uns noch zum Essen und Trinken in der Bar, in der wir die Mädels getroffen haben. Wir quatschen über vergangene Urlaube, Erfahrungen, unsere Jobs. Es ist echt angenehm. Die Jungs trinken Bier, die Mädchen Wein. Klischeehaft, aber passend. Als es zu dämmern beginnt wollen wir nochmal umziehen. Wir entscheiden uns für Okro's Wines, in dem es auch wunderbares Essen gibt. Gut gewürztes Hähnchen, Wachteln, Schweinefleisch, leckeres Brot und Cornbread. Und natürlich Wein. Kurz vor zehn heißt es dann Abschied zu nehmen. Ein schönes Örtchen mit netten Leuten, auch ganz ohne Weintour.

Morgen fährt unsere Marschrutka um 11 Uhr. Wir nehmen eine der späteren um entspannt ausschlafen und frühstücken zu können.

Von Kachetien in den großen Kaukasus Tag 8: Tbilissi ungeplant