Jeder Aufbruch an einen neuen Ort ist mit Neugier uns Spannung verbunden. Erst recht, wenn man sich ein wenig Zeit lässt um die Eindrücke aufzusaugen und dann festzustellen, wie verschieden Natur und Leute an den Orten sind. Schon allein deswegen, so denke ich, lohnt es sich einfach ein paar Tage auf jeder Station der Reise zu bleiben. Es ist kurz vor acht, wir sind dabei uns frisch zu machen und so richtig viel zu packen ist eigentlich gar nicht, wenn man aus dem Rucksack lebt. Trotzdem ist es ein Akt, den Überblick zu behalten und nichts zu vergessen.
Um elf Uhr erst fährt unsere Marschrutka. Den heutigen Tag haben wir mehr oder weniger dem Transfer verschrieben, denn wir müssen zuerst nach Tbilissi, um zu unserer nächsten Station zu gelangen. Zuerst ist allerdings eine ordentliche Verabschiedung von unserer Gastgeberin Soso fällig. Sie gibt uns noch zwei Hände voll Bonbons mit und fragt beiläufig warum wir denn so früh aufbrechen wollten. Geplant ist noch im Café zu frühstücken: Kaffee und was Süßes. So wie wir's ihr erklären, wird es schließlich doch nicht: Wir nehmen uns zwei Stücke Schmalzgebäck und zwei Khachapuri auf den Weg, versorgen uns mit frisch aufgebrühtem Instantkaffee aus dem Minilädchen. Teresa isst ihren mit Hack gefüllten Khachapuri, ich hebe ihn mir für später auf.
Eine Stunde machen wir es uns auf dem Spielplatz am Marschrutkaplatz bequem. Gegen halb elf rollt sie ein, frisch aus Tbilissi, ein wenig kleiner als die mit denen wir bisher gefahren sind. Aber bequeme Sitzplätze hat sie. Eine asiatische Touristin macht ein wenig Stunk. Sie möchte sich hinter den Fahrer setzen, einen vermeintlich bequemeren Sitzplatz haben als alle anderen. Sie weist auf den fehlenden Rucksack hin, der eine Reservierung signalisieren soll. Es sei ihr "Recht". Letztlich sitzt sie die anderthalb Stunden im Fahrtwind des offenen Fensters. Dick eingepackt - ein wenig unzufrieden mit ihrer Wahl wirkend. Ich verschlafe wieder den Großteil der Fahrt.
In Tbilissi angekommen müssen wir wieder die Marschrutkaplätze wechseln. Von Samgori nach Didube, denn wir kommen im Südosten an und wollen in Richtung Nordwesten fahren. Die Marschrutkaplätze folgen ihrer ganz eigenen Ordnung, die man erstmal begreifen muss. Die U-Bahnstation Didube verlassend werden wir erst einmal von einer Reihe Taxifahrern begrüßt, die uns wild durcheinander beliebte Touristenziele in Georgien an den Kopf knallen. Schräg rechts hinter den Taxifahrern reiht sich ein Kleintransporter an den nächsten. Hinter jeder Windschutzscheibe ist ein Fahrtziel angezeigt - in 95 Prozent der Fälle leider nur auf georgisch. Wir wollen nach Kazbegi. Das georgische "i" kann ich mir gut merken. Es ist ein kleines "n", bloß irgendwie groß und ohne Schnerpfel, eher also ein umgedrehtes, großes U. Ein netter, runder, schmaler Bogen eben. Wir suchen nach einem Ort, der mit einem "i" aufhört. Doof bloß, dass das auf fast alle Orte zutrifft. Gut, dann eben einer, in dem kein weiteres "i" vorkommt. Uff... "Batumi". Batumi hier, Batumi da, überall Batumi.
Wir fragen uns durch, sind wohl an der falschen Ecke gelandet. Für Ausländer ist nichts ausgeschildert, häufig hilft eben nur fragen. Wir finden unsere Marschrutka, vorbildlicherweise auch für Nicht-Georgier verständlich beschriftet. Bloß ist sie voll und fährt ohne uns. Schade, wir hätten eine Stunde gespart. Kurz darauf rollt aber der uns zugedachte grüne Personenbeförderer mit gelben Farbspritzern auf der Motorhaube und einem leicht unsympathischen Fahrer ein. Wir fahren los, wenn die Karre voll ist. Der Zeitplan, stündlich ab sieben, ist obsolet. Punkt 15:00 geht's dann mehr oder weniger zufällig doch los.
Der Dreistundenritt in der TÜV-untauglichen Überschallkarre ist abenteuerlich, aber erträglich. Glücklicherweise geht's ab etwa einem Drittel der Strecke nur noch bergauf. Die Physik weist dieses gelbgesprenkelte Straßengeschoß in seine Grenzen. Ich schlafe wieder die Hälfte der Strecke über. Eigentlich direkt nachdem wir großkaukasischen Boden befahren haben. Immer mal wieder gucke ich links und rechts aus dem Fenster und kontrolliere, ob die Straßensituation wirklich so furchteinflößend ist wie von den beiden Mädels aus Signagi beschrieben. Nö, alles safe. Schluchten sind weit genug entfernt, Straße ist asphaltiert. Gut so - weiterschlafen.
Exakt zwei Stunden nach Fahrtbeginn legen wir eine kleine Pause an einem Rastplatz ein. Wir vertreten uns die Beine. Es ist kalt und windig. Ungemütlich eben. Einige der Autos rasen mit einem Affenzahn die steile und gewundene Straße herauf. Die Berge um uns herum sind bereits gigantisch. Wie es erst am Zielort sein wird? Eine Stunde später sind wir da. Die Wolken hängen tief über den grau-sattgrünen Bergen. Die berühmte Gergeti-Kirche blitz manchmal durch die Wolken hindurch. Es nieselt und es riecht nach Winter. Dieser schwere Geruch nach Holzöfen.
Kazbegi, bei uns besser bekannt als Stepantsminda, heißt das Örtchen auf etwa 1700 Metern Höhe im großen Kaukasus und dessen Gäste wir für die nächsten Tage sein werden. Es liegt in einem Tal, wird vom Flüsschen Terek durchflossen und egal von wo nach wo man möchte: Eigentlich muss man immer Höhenmeter machen. In der Theorie hat man einen fantastischen Blick auf den Kazbeg, den dritthöchsten Berg Georgiens, ein Geradenoch-Fünftausender. Heute sind wir zufrieden, wenn wir die Gergeti-Kirche erblicken.
Wir stapfen den weiten Weg zu unserer Unterkunft hoch. Ich noch im T-Shirt, aber ich friere nicht. Bei der Steigung mit dem vielen Gepäck wird es schnell warm. Wir sehen eine Bäckerei auf dem Weg. Ein Tourist drängt mit seinem Wanderstock einen freundlichen Hund auf etwas unfreundliche Weise ab. Der Tourist hat ein großes frisches Brot in der Hand. Nicht mehr lange, der Hund schnappt's einfach weg und spaziert gemütlich davon. Wir müssen lachen. Das Karma hat zugeschlagen und zack ist der Weg auch irgendwie gefühlt kurzer geworden.
Das Gästehaus ist unscheinbar, fast am Ortsrand. Die Gastgeberin Maiko spricht leider keine Fremdsprache. Ihre Übersetzungsapp hilft leider auch nicht wirklich weiter. Selbst mit Goodwill kann man sich nicht wirklich etwas zusammenreimen. Aber mit Händen und wildem Gestikulieren brauchen wir keine Übersetzungsapp. Der Dreijährige Georgi zerrt uns beide an den Händen durch das Vorzimmer und unser Zimmer. Und ein wenig scheint er sich in Teresa verguckt zu haben.
Diesen Abend verschreiben wir der Akklimatisierung. Wir mummeln uns in Pullis und Jacken und ziehen durch das Örtchen. Nirgends wird geheizt - selbst die Einheimischen scheinen von den niedrigen Temperaturen überrascht zu sein. Weiter oben ist der Winter bereits eingebrochen, werden wir erfahren, selbst die Einheimischen zücken wohl ihre Handies um die frühen Schneeflocken einzufangen.
Das Örtchen ist touristisch - viele Taxifahrer, sehr viele Touristen und noch mehr Tagesgäste, so unser Eindruck. Man möchte uns zu der Zeit noch irgendwo hinfahren. Ins Trusotal, nach Juta, zur Gergeti-Kirche hoch, nach Tbilissi. Wir lehnen ab und verkrümeln uns in ein Restaurant namens Khevi, das sich den Namen mit der hiesigen Region teilt. Es klingt lokal, es wirkt einfach, es wird von Einheimischen besucht - eigentlich genau unser Ding. Aber wir haben den Eindruck, dass hier eher frittiert wird als gebraten. Der Wein schmeckt allerdings gut.
Zwei Übernachtungen haben wir in unseren Unterkunft gebucht. An diesem Ankunftstag, dem elften Tag unserer Georgienreise, lassen wir es gemütlich angehen. Ein wenig fertig sind wir schon. Die Zimmertemperatur ist auf Außentemperaturniveau. Die schweren, warmen Decken helfen beim Einschlafen. Morgen gehen wir wandern.