Heute ist unser letzter Tag in Kazbegi. Wir sind früh ins Bett gegangen und haben gut geschlafen. Nun steht der Abschied dieser etwas kühleren Seite des georgischen Kaukasus auf dem Programm. Abschied von der Kälte, Abschied von unseren Gastgebern, und Abschied von den netten Nachbarn. Wovon wir uns nicht verabschieden, sind die vielen Erinnerungen und Eindrücke. Die nehmen wir mit.
Abschied heißt natürlich auch Reise. Am frühen Nachmittag wollen wir die Marschrutka nach Tbilissi nehmen um dann mit dem Nachtzug nach Zugdidi zu fahren. Zugdidi liegt knapp 30 Kilometer vom Schwarzen Meer entfernt und soll den 30 Grad warmen Gegenpol zu dieser Etappe bilden.
Doch bevor diese Etappe zuende geht, planen wir einen Ausflug zur Gergeti-Kirche - dem Wahrzeichen der Region, das wir unbedingt noch aus nächster Nähe bewundern wollen. Von hier unten wirkt die Entfernung zur Kirche ganz schön groß. Daher ist der Plan, den kurzen und steilen Weg aufwärts zu gehen. Wenn dann oben die Kräfte aufgezehrt sind, lassen wir uns einfach den flacheren Weg abwärts treiben. Dennoch fällt uns schwer, einschätzen zu können, ob wir damit besser mit unserer Energie und der Zeit haushalten als anders herum.
Das Gepäck können wir währenddessen in der Unterkunft parken. Einfach im Esszimmer. Steffen, unser Nachbar, bietet noch eine Mitfahrt bis hoch zur Kirche an. Sie wollen von da aus ihre Tour starten und haben für ihre Reise ein Auto gemietet. Nach kurzer Überlegung entscheiden wir uns doch gegen diesen sehr netten Vorschlag. Wir sind ja hier, um uns auch ein bisschen zu quälen. Also verabschieden wir uns und watschen los - mit im Gepäck natürlich wieder das obligatorische Lobiani-Brot, das wir schon früh auf der Wanderung verputzen werden.
Zunächst geht es durch's Örtchen Gergeti, das knapp oberhalb der Ortschaft Kazbegi liegt. Uns wird warm. Ich ziehe meinen Pulli aus. Es ist ganz schön steil. Nur noch im T-Shirt scheint's erträglich zu sein. Ein Glück, dass es nicht regnet. Von hier hat kann man Kazbegi von oben sehen.
Wir kommen an einem Schäfer und seiner Herde vorbei. Er verbittet sich ausdrücklich, Fotos von den Schafen zu machen. Eine Touristin weist er zurecht. Kurz danach sehen wir ein Auto im Graben stehen. Zunächst schaut's nach einem Fall von "gut geparkt!" aus. Aber nö, der ist tatsächlich da reingefallen und kam wohl nicht mehr raus.
Der Aufstieg wird steiler. Wir begegnen etwas betagteren Briten. Sie sind erstaunlich gut in Schuss und sind ungefähr gleich mit uns auf, was das Tempo angeht. Es ist anstrengend. Alle paar hundert Meter machen wir eine kurze Pause. Der Ausblick ist ganz nett, aber die Anstrengung zu groß um beide Augen dafür frei zu haben.
Sehr weit kann es nun nicht mehr sein. Es kommen uns Wanderer entgegen. Eine junge Frau davon erzählt den Briten etwas auf englisch, so etwas wie "fast geschafft". Der Wind wird stärker und kälter. Ich streife mir die Regenjacke über: viel besser.
Der Pfad führt nun über einen sehr steilen Anstieg quer über eine Wiese. Ich vermute, dass das eher ein Trampelpfad ist, aber die Wander-App hat ihn eingezeichnet. Eine willkommene Abkürzung, denn mittlerweile hat es angefangen zu regnen. Tendenz: zunehmend. Zusammen mit dem Wind eine eklige Kombination. Die Hände werden sofort kalt, wir versuchen unsere Kameras zu schützen. Die Gergeti-Kirche ist in Sichtweite. Mittlerweile peitscht der Wind den Regen in unsere Gesichter und auch sonst überall hin. Wirkte die Kirche vorhin auf dem Berg trohnend viel weiter weg, wirkt sie nun etwas kleiner als erwartet.
Wir wollen uns unterstellen und den schlimmsten Regen abwarten. Nachdem wir den Kirchhof betreten, gesellen wir uns zu einigen anderen wartenden Touristen in eine Art Umkleideraum, in dem Kopftücher und Röcke ausliegen. Zumindest sind wir geschützt vor Wind und Regen, kalt ist es immer noch. Wir verweilen ein wenig, betreten die Kirche. Der Mönch ermahnt einige Männer, ihre Kapuzen herunterzunehmen, und einige Frauen, für die richtige Kleidung zu sorgen.
Dann kommen die Mädels von gestern vorbei - wir quatschen noch ein wenig. Sie sind auch in den Regen gekommen. Wir werfen einen kurzen Blick in die Kirche rein und entscheiden uns - ein wenig überdrüssig des nasskalten Wetters - den Rückweg anzutreten. Taxi kommt für uns nicht in Frage. Auf dem etwas längeren Rückweg soll uns flacheres Gefälle erwarten. Denken wir. Das erste Stück geht einen Hang herab durch Matsch. Einige Male landen wir auf unseren Hintern. Sobald wir aber auch das hinter uns gebracht haben, machen wir drei Kreuze und laufen die Serpentinenstraße bis ins Örtchen Gergeti runter.
Es regnet immer noch und wir sind durchnässt. Ich beginne mir langsam Sorgen um Kamera und Laptop zu machen. Die Regenhülle für den Rucksack hätte ich noch nachbestellen sollen. Die Kamera ist vorhin im Regen nass geworden. Mehr als nur Spritzwasser. Mal schauen.
Wir haben ein strammes Tempo drauf, kommen in Gergeti an, kurz darauf in Kazbegi. Wir wollen kurz einkehren. Teresa hat schon in Signagi von unserer deutschen Mitwanderin vom Café Beba erfahren. Khinkalis erwarten uns. Witzigerweise treffen wir da noch das Frankfurter Pärchen, das wir anfangs im Okatse Canyon getroffen hatten. Sie berichten von ihrer Viertagestour von Mestia nach Ushguli. Klingt wahnsinnig spannend, machen wir vielleicht auch wenn wir mit der Zeit auskommen. Ich habe meine Regenjacke ausgezogen und dampfe am ganzen Körper. Die Wanderhose ist schon trocken, den Schuhen kann man beim Trocknen zuschauen. Es ist auch frisch hier drin. Geheizt wird nirgendwo. Auch nicht in der Unterkunft, in der wir unsere Wanderrucksäcke untergestellt haben.
Wir treffen wieder auf unsere deutschen Nachbarn. Er, Steffen, seines Zeichens witzigerweise auch Physiker, bietet noch an uns zur Marschrutka zu fahren. Dankbar über den Vorschlag lehnen wir dennoch wieder ab, das bisschen bergab gehen klappt schon und er spart sich das Geraffel.
Reise nach Zugdidi
Die kaukasische Überschallfahrt
Es ist 14:45. Wir wollen früh genug vor der 15:30-Marschrutka da sein. Die Fahrt muss jetzt klappen, denn wir haben einen Nachtzug gebucht und wollen ein wenig Puffer haben. So etwas, wie einen funktionierenden Zeitplan gibt es hier aber sowieso nicht. Wenn voll, dann voll. Punkt 15 Uhr fahren wir los. Ich sitze in hinterster Reihe, unterhalte mich mit einem in Deutschland lebenden Polen und seinem japanischen Kumpel. Teresa sitzt eine Reihe weiter vorn. Ich versuche ein wenig zu schlafen. Gar nicht so leicht, denn das soll die bislang schlimmste Marschrutkafahrt werden.
Wir holpern und poltern die kaukasische Serpentinenstraße immer leicht abschüssig herunter. Schlafen unter erschwerten Bedingungen. Teresa kriegt kein Auge zu, versucht sich mit lesen abzulenken. Die Berge schießen links und rechts vorbei. Wie eine einmotorige Propellermaschine im Landeanflug auf einen kaukasischen Provinzflughafen. Einen Flughafen, der nie aufhört.
Es staut sich ein wenig, aber das beeindruckt doch keine Marschrutka! Wir überholen Kolonnen von langsam fahrenden PKWs, LKWs, Bussen und Transportern auf der Gegenspur. Nur wenn das Gegenüber furchteinflößender ist als unser etwas rostiger Paarundzwanzigsitzer wird dem Gegenverkehr stattgeboten. Der Chinese rechts neben mir bearbeitet entspannt seine Fotos auf dem Handy. Manchmal schnauft er. Auf eine merkwürdige Weise beruhigt mich das. Ich hab von der Rückbank durch den Mittelgang freien Blick auf das Geschehen auf der Straße und entscheide mich schnell doch lieber dem Chinesen beim Fotobearbeiten zuschauen.
Umstieg in Tbilissi
In Tbilissi angekommen müssen wir wieder in die Metro steigen. Wir haben bequem Zeit, der Überschallhöllenritt hat einiges an Zeit rausgehauen. Ein paar U-Bahnstationen müssen wir nehmen, bis wir am Hauptbahnhof ankommen. Der Weg von der Metro Hauptbahnhof bis zu den Fernzügen führt durch einen eng gewundenen Basar. Wir vergewissern uns beim Personal, ob wir in der Nähe des richtigen Bahnhofs sind und machen uns auf die Suche nach einer Möglichkeit zur Einkehr.
Hier in Tbilissi herrscht ein angenehmer schwühlwarmer Kontrast zum nasskalten Kazbegi. Auf unserer Suche nach was Essbarem schauert es manchmal. Aber auch der Regen ist warm. Wir finden eine günstige Pizzeria mit WLAN in der schicken Straße, durch die wir mal gegangen sind. Die, in der sich tagsüber die Geschäftsleute tummeln. Pizza wird hier plötzlich wieder spannend, denn bislang haben wir nur regional gegessen.
Wir machen uns Gedanken zum Plan für die nächsten Tage. Eigentlich wäre ein Ruhetag ganz praktisch. Das viele Nass, die viele Kälte und die Wanderungen haben uns ein bisschen wandermüde gemacht. Bei 30 Grad in der Sonne faulenzen, mal die Wäsche waschen und ein wenig "piano" machen, das passt jetzt gut rein. Da die Stadt Zugdidi eigentlich von Touristen hauptsächlich für die Durchreise nach Mestia genutzt wird, entkommen wir vielleicht auch mal kurz dem Getriebenen, kriegen einen authentischeren, weniger touristischen Eindruck? Es gibt viele Möglichkeiten sich den Zwischenstopp schönzureden. Wir sind aber schon lange überzeugt!
Wir buchen eine Unterkunft: Waschmaschine, WLAN und Terrasse sind die einzigen Kriterien. Nach einer großen Pizza ist es schon kurz vor neun geworden. Wir machen uns auf den Weg zum Zug, versorgen uns mit Wasser.
Der Zug steht schon bereit, der Schaffner weist uns freundlich den Weg. Unsere Reisepässe werden nicht mit den Daten abgeglichen, die auf dem Ticket stehen. Die der anderen schon. Merkwürdig. Weil wir Deutsche sind?
Teresa und ich kommen in unterschiedlichen Vierer-Schlafabteilen unter. Sie teilt sich die paar Quadratmeter für die nächsten acht Stunden mit drei asiatischen Touristinnen. Ich mit zwei israelischen Touristen und einer etwas betagten Georgierin. Es ist tatsächlich bequem. Eine gepolsterte Unterlage und ein Kopfkissen stehen zur Verfügung. Für einen Aufpreis hätten wir auch eine eingeschweißte, dünne Bettdecke bekommen können. Wussten wir aber nicht, brauchen wir auch nicht. Verglichen mit Kazbegi fühlt sich alles muckelig warm an.
Nach der Anfahrt entscheiden sich die meisten Passagiere auch gleich für's Schlafen. Ich kann das Schnarchen der drei Asiatinnen durch die dünne Kabinenwand hören. Auch bei mir wird geschnarcht. Immer wieder wache ich wegen des Ruckelns und des Schnarchens auf. Der Zug hält immer mal wieder an. Das Licht der Bahnhöfe, an denen wir halten, scheint durch das Fenster. Das Anfahren selbst spürt man kaum. Man weiß immer nicht, ob das planmäßige Stopps oder Zwangsstopps sind.
Unsere geplante Ankunft in Zugdidi ist um sechs Uhr morgens. Um zwanzig vor sechs wache ich auf. Ich checke unsere Position. Wir sind in der Nähe vom Flughafen Zugdidi. Ich glaube, wir werden hier geparkt, sodass wir eine Punktlandung im Bahnhof machen können. Das Handy der betagten Georgierin vibriert. Wie so oft in dieser Nacht. Das Display wird hell, auch mit geschlossenen Augen deutlich wahrnehmbar. Ich freue mich über zwanzig Minuten Schlummern. Der Zug fährt an, die Georgierin packt zusammen, geht auf's Klo. Wie so oft in dieser Nacht.
Kurz vor unserer Ankunft klopft es an unserer Tür. Der Schaffner läuft durch den Zug und klopft überall einmal. Unser georgischer Weckdienst. Die israelischen Jungs schlafen tief. Ich frage, ob ich das Licht anmachen kann. Nichts. Etwas lauter kündige ich an, das Licht anzumachen. "Why?". "We've arrived, guys". "Oh, we arrived? Thanks."
Die Sonne geht auf, es dämmert zumindest. Wir steigen mit sehr vielen Leuten aus. Wahrscheinlich sind wir bei weitem in der Minderheit, was unseren Aufenthalt in Zugdidi angeht. Wir suchen uns einen bequemen Platz am Bahnhofskiosk, bestellen einen Kaffee und schauen dem Gewusel um die Marschrutki zu. Mehrfach wird uns abgeboten, uns mitzunehmen: "Mestia?", jedes mal lehnen wir ab. Wir müssen noch knapp anderthalb Stunden verbummeln bis wir bei unserer Gastgeberin aufkreuzen wollen. Sie hat zwar 24/7 Check-In angegeben, ganz so unangenehm wollen wir es ihr aber auch nicht machen.
Es sammeln sich Hunde am Bahnhof. Allesamt freundlich, ein wenig nah, aber freundlich. Ein zweiter Kaffee folgt. Die meisten Marschrutki sind losgefahren. Nur noch die Hunde, ein paar Taxifahrer, die Kioskleute und wir sind übrig. Ganz schön viel Betrieb für einen vermeintlich verschlafenen Bahnhof, der seinen großen Ansturm schon hinter sich hat.
Um 7:25 entscheiden wir uns loszugehen. Allerdings sind wir nicht die einzigen mit diesem Plan. Wir sind nun in der Gesellschaft gefühlt sämtlicher zugdidischer Vierbeiner. Während wir nun das Revier unserer Begleiter erkunden, bemerken wir sogar so etwas wie eine soziale Struktur bei den Hunden. Und es wird offenkundig, wer sie gut und wer sie schlecht behandelt hat. Bei letzteren wir geknurrt, gebellt und hinterhergerannt, wenn sie vorbeigehen.
Google Maps kündigt uns einen Weg von 2,1 Kilometern bis zur Stalinstraße 119 an. Derartige Straßennamen scheinen hier nicht ungewöhnlich zu sein. Irgendwie ist die Straße länger als erwartet und der Fußmarsch zieht sich furchtbar.
Die Hunde sind unermüdlich, hartnäckig und lassen sich nicht abschütteln. Einige blicken neugierig hinter sich und versuchen aufgeregt auszuloten, wo wir als nächstes langgehen. Andere haben mehr Freude daran, die Gegend zu beschnuppern oder Taxis anzubellen. Aber alle bleiben irgendwie in der Nähe. Ein Teil davon, ein festes Pack, läuft jedenfalls direkt vor uns her, sieben, manchmal acht. Wie ein Rudel behaarter, vierbeiniger Reiseführer, die uns versuchen voller Stolz ihre Stadt zu zeigen.
Einige Einheimische haben ihre Probleme mit den Hunden. Sie schauen uns an, ganz schön schief sogar. Vielleicht schreiben wir ja morgen Schlagzeilen in der Lokalzeitung, keine Ahnung. Aber groß was gegen sie tun können wir auch nicht. Wir sind froh, dass sie eher Freunde als Feinde sind und nehmen es mit Humor, das Sozialgefüge interessiert beobachtend.
Mit der Zeit werden sie uns etwas lästig. Sie laufen häufig im Weg herum. Den großen Reiserucksack auf dem Rücken und den Fotorucksack vornherum geschnallt ist das Sichtfeld doch sehr begrenzt. Nun sind wir in der Stalinstraße angekommen, den Hausnummern nach zu urteilen aber noch ein ganzes Stück entfernt von der 119. Je näher wir der Unterkunft kommen, desto konkreter wird auch die Frage, was wir mit den Hunden machen. Und wie unsere Gastgeberin reagieren wird. Wie werden wir sie los?
Knapp zweieinhalb Kilometer Fußmarsch hinter uns gebracht, sind wir endlich da. Die Gastgeberin steht skeptisch im Hof. Wir teilen uns auf. Teresa bleibt am Tor stehen und ich rufe die vielen sympathischen Nervensägen zu mir. Klappt super, wir verstehen uns gut. Aber jetzt? Teresa probiert's andersherum vom Hof aus. Das gelingt dann nur noch mäßig gut. Zwei Hunde schaffen es rein. Beschnuppern und beschwanzwedeln alles. Schließlich kann sie unsere Gastgeberin aber mühelos verjagen.
Hier sind wir nun, haben noch den vollen Tag. Unseren Ruhetag. Wir werden ein von einem Deutschen geführtes Restaurant besuchen, der uns viele spannende Einblicke in das Leben und Arbeiten in Georgien erzählen wird. Wir werden eine kleine Tour durch die Stadt machen, unsere Wäsche waschen und sie extratrocken nach einer Dreiviertelstunde wieder von der Leine holen. Teresa hat die Gelegenheit zum Lesen, ich ein wenig zum Schreiben. Und einfach nur zum Faulenzen - bei 30 Grad und strahlendem Sonnenschein in der Hängematte unterm Kiwibaum in der Stalinstraße 119.