Das kurze Stück unserer bisherigen Autoreise, wohlgemerkt der freiwillige Umweg, fühlt sich rückblickend nach einer mehrere hundert Kilometer langen Fahrt an. Der vielen Eindrücke und Stopps wegen, aber auch der langsamen Fahrt geschuldet. Der Umweg hat sich absolut gelohnt. Nun geht's weiter entlang der Nordküste.
St. Florent ist gefühlt eine sehr lang gezogene Küstenstadt obwohl es auf der Karte nicht danach aussieht. Küstenparkplatz an Küstenparkplatz reihen sich aneinander. Die Straßen sind an diesem Sonntagmittag gut besucht. Wir verzichten hier auf einen Stopp, haben wir doch noch ein kleines Stück vor uns.
Assoziationen
Die Küstenstraße macht beim Hafen einen Knick in Richtung Südwesten ins Landesinnere. Der Küstenverlauf Saint-Florents zieht sich noch ein ganzes weiteres Stück gen Westen. Hier lägen dann noch einige Campingplätze und unter anderem die zwei beliebten Strände "Plage de la Roya" und "Plage du Lotu". Die Strände haben auf Korsika besonders wohlklingende Namen, so mein Eindruck. Wir befinden uns allmählich in der Balagne, der nordwestlichen Region Korsikas. Eines der Hauptweinbau- und Urlaubsgebiete. Es wird hügelig. Unsere Straße schlängelt sich in stetiger Steigung durch die felsige Umgebung. Karg ist es nur in Straßennähe. Die Landschaft erinnert uns an Kuba oder an Arizona. Der dritte Gang bekommt der Knutschkugel besonders gut, bis wir schließlich an einem unbefestigten Parkplatz halten, um den Panoramablick zu genießen. Ein roter Schal weht an einem toten Baum im warmen Wind, der aus dem Tal hochzieht.
Eine vierköpfige deutsche Familie aus dem Wagen nebenan schaut sich ebenfalls um. Sie diskutieren über's Fotomachen, wir bieten uns an. "Nee danke, der Kleine bockt". "Der Kleine", das ist der Junge im Grundschulalter, sitzt auf der anderen Straßenseite auf einem Felsen. Letztlich wünschen sie sich doch ein Foto zu dritt. Als wir uns verabschieden, ahnen wir noch nicht, dass wir ihnen noch einige Male begegnen werden.
Weiter in Richtung Westen fahrend liegt rechterhand, also nordwärts, die "Desert des Agriates". Auch wenn der Name es suggeriert: Auf Wüste deutet nur die Baumlosigkeit und die spärliche Besiedlung hin. Küstenseitig liegen ein paar weitere idyllische Strände. Darunter die wohlklingenden Namen wie "Plage de Fiume Santu" und "Plage du Saleccia". Viele Schilder weisen am Straßenrand auf 4x4-Touren zu den Stränden hin. Die Landschaft ist hier wenig zugänglich. Der Mangel an Siedlungen macht Infrastruktur nicht nötig.
Dörfchen um Dörfchen arbeiten wir uns vor, machen einige Male Halt. Wir überholen uns mit der vierköpfigen Familie im Wechsel, bis sie schließlich vor uns wenden. An einem Aussichtspunkt legen wir nochmal einen Halt ein. Der Punkt liegt exponiert und erhöht mitten in der mit Macchia überzogenen Landschaft. Wir halten unsere Mützen fest. Der sehr warme Wind bläst mit einer ungeheuren Kraft aus dem Talkessel heraus. Es riecht nach mildem Kräutertee. Wir müssen unsere Mützen an unseren Köpfen festhalten.
L'Île Rousse
Langsam nähern wir uns wieder der Küste. Damit auch dem Städtchen "L'Île Rousse", das über 3000 Einwohnern zu den größeren Ortschaften gehört. "Die rote Insel", oder "Isula Rossa", wie sie auf korsisch genannt wird. Bis zu unserem Ziel, Calvi, ist es nicht mehr weit. An diesem Sonn- und gleichzeitig Feiertag steuern wir zunächst den offenen Supermarkt an. Vor allem an Wasser ist uns gelegen. Aber wo wir schonmal hier sind, nehmen wir noch einen Weißwein und einen Rosé sowie einige Säfte mit. Wir schwankten ursprünglich zwischen Calvi und L'Île Rousse als Basis für die Balagne. Calvi erschien uns dafür besser geeignet: Kürzere Fahrtwege zu möglichen Zielen, etwas größer, näher am Strand gelegene Unterkünfte. Wir wollen aber die "rote Insel" nicht links liegen lassen, sondern hier etwas Zeit verbringen. Der Ortskern ist beschaulich-mediterran. Wieder zahlreiche Restaurants und Boutiquen. Auf dem "Place Pascal Paoli" bereiten sich die Männer auf eine Runde Boule vor.
Dem Küstenverlauf der Stadt folgen Bahngleise. Es ist die Zugstrecke, die u.a. Calvi mit L'Île Rousse verbindet. Bei einer längeren Reise hätten wir dieses Erlebnis sicherlich nicht ausgespart. Die Strandpromenade ist sehr einladend, das Wasser cyanblau. Eine kleine Meerjungfrau sitzt auf einem Stein. Der Küste vorgelagert ist eine kleine Insel, oder Halbinsel, je wie mans nimmt. Die Île de la Pietra. An deren Spitze der markante Leuchtturm. Auch hier haben wir uns etwas für die nächste Reise aufgespart, denn den Ausblick bei Sonnenuntergang vom Leuchtturm aus sollte man unbedingt machen.
Wir haben noch knapp 24 Kilometer bis zu unserem Ankunftsort zurückzulegen.
Ankunft in Calvi
Als wir nach Calvi hineinfahren, wirkt die Stadt wie die geschäftigere und hektischere im Vergleich zu L'Île Rousse. Dabei sind wir erst am Ortsrand. Die Kreuzung, an der wir zu unserer Unterkunft abbiegen, wirkte auf der Karte groß und bedeutsam. Es ist eher eine normale Anliegerkreuzung. Die Unterkunft finden wir nicht auf Anhieb, müssen zwischendurch nochmal umkehren. Schließlich Freude, als wir endlich das Schild der "Résidence Le Home et A Merula" entdecken. Auf den ersten Blick sind wir "schockiert" von der wunderschönen gepflegten Anlage mit Pool. In so einer augenscheinlich edlen Unterkunft haben wir noch nie gewohnt. Der Weg zur Rezeption führt durch einen unwahrscheinlich gepflegten Garten. Wieder fast wie ein Märchengarten.
Es begrüßt uns die Inhaberin, eine sehr resolute, gesprächige Anfangfünfzigerin. Wir quatschen mit ihr etwas auf Französisch. Über die Reise, das Anwesen. Sie ist sehr aufgeschlossen und wir wechseln zwischen Englisch und Französisch. Sie erklärt uns, dass wir die drei Pools der drei Anlagen auf ihrem Anwesen mitbenutzen könnten. Dann begleitet sie uns zur Wohnung - etwas weiter im "Hinterland". Hier ist es deutlich rustikaler, aber absolut gemütlich und vor allem ruhig. Unter den Carports stehen eingestaubte Autos mit teils noch alten, schwarzen französischen Kennzeichen. Der Inhalt im Kühlschrank sei für uns, erklärt sie. Zwei Bier, korsisches Fleisch, Saft, Milch, Wasser, Toast, Kaffee, Kekse. Alles da, was man für den Start braucht. Das Auto parken wir noch schnell um, mit einer etwas abenteuerlichen Beschreibung in der Hand, wie man zum hinteren Teil des Grundstücks gelangt. Dann legen wir eine kleine Pause ein.
Das Warmwerden
Wir nutzen den nebenan gelegenen Supermarkt "Casino", holen Obst für die nächsten Tage und Käse, Obst und Baguette für das Abendessen und Frühstück.
Und schon geht's ab an den Strand. Etwas über fünf Minuten Fußweg von hier. Trotzdem sind die Pools gut gefüllt. Auch hier trennen den Strand Bahngleise von dem Rest der Stadt. Es ist die Bahn aus L'Île Rousse. Der Sand ist unglaublich fein. Die nächste Steigerungsform wäre Staub. Wir machen es uns bequem, Teresa springt ins Wasser, wir genießen die untergehende Abendsonne. Linkerhand die mächtige Zitadelle, rechterhand die imposanten Berge.
Würde man uns jetzt beim Abendessen fragen, wie viele Kilometer wir heute durchs Land gereist sind, wir wüssten's nicht, hätten wir uns nicht vorbereitet. Das Drei- oder Vierfache hätten wir wohl geschätzt. Unsere Gastgeberin verriet uns vorhin, dass man Entfernungen auf Korsika ohnehin nicht in Kilometern misst. Man spricht von Stunden, halben oder ganzen Tagen. Und das auf einer Insel, die nur 200 Kilometer lang und 70 Kilometer breit ist.