Manch ein Tag hat prägendere Überraschungen parat als andere. Heute ist so ein Tag in einem bislang wirklich wundervollen Urlaub, an dem einfach alles stimmt. Wir begeben uns auf Weiterreise.
Heute Morgen herrscht bei uns Aufbruchstimmung. Wir lassen den Nordwesten Korsikas langsam aber sicher hinter uns und peilen unsere nächste Basis an: Porto an der Westküste. Das Rucksackpacken ist eingespielt, der Kofferraum unseres kleinen Fiats wird bis an den Rand gefüllt. Er ist erstaunlich geräumig: Zwei große Wanderrucksäcke, ein Sechser Wasser und ziemlich viel Kleinkram passen da rein. Die Bude hinterlassen wir besenrein, auch wo der Müll zu entsorgen ist, war Teil unseres Willkommensbriefings vor drei Nächten. Die übliche Mischung aus Wehmut und Entdeckergeist legt sich über uns. Ein Teil der Wegstrecke ist uns vertraut: Es ist die Straße über den Parkplatz von La Revellata, die die Küste südwärts Richtung Porto und Ajaccio führt. Kurz hinter dem Parkplatz ändert sich sehr schnell auch die Beschaffenheit der Straße. Sie wird löchriger, deutlich enger und nur eine alte, schmale, hüfthohe Mauer trennt die Straße vom steilen Gefälle. In den Kurven fährt man teilweise Schrittgeschwindigkeit. Ob Manöver nötig werden, ist Glückssache. Glücklicherweise sieht man an vielen Stellen entgegenkommenden Verkehr schon von Weitem, so dass man vorausschauenderweise einfach in eine der zahlreichen Haltebuchten einschwenkt, sollte es sich mal um breitere Fahrzeuge handeln. Die Reisebusdichte nimmt zu, die Motorradfahrer fahren eher Ideallinie als auf ihrer Spur zu bleiben. All das führt dazu, dass wir eher gemächlich vorwärts kommen. Aber im Cabrio mit guter Musik dazu lässt sich das sehr gut aushalten.
Ein entspanntes "Cruise"-Gefühl hat sich schon lange eingestellt, als die Straße immer weiter von der Küste weg ins Landesinnere führt. Die Bäume sorgen für mehr Schatten, die Eindrücke werden abwechslungsreicher. Knapp mehr als die Hälfte der etwa achtzig Kilometer liegen hinter uns, als ich zunächst falsch abbiege und beim Wendemanöver die Bodenfreiheit des kleinen Cruisers ein wenig unterschätze. Wir wollten links abbiegen, die Straße, die dem Flusslauf des "Fango" folgt. Er fächert sich auf dem Weg zum Meer in ein Delta. Aber von Fluss ist hier noch nichts zu sehen. Ein trockenes Flussbett aus Stein und Geröll liegt einige Kilometer lang links der Straße.
Unsere Gastgeberin in Calvi hat uns sehr in unserem Vorhaben bekräftigt, auf dem Weg nach Porto einen Halt im Fangotal zu machen. Wir sollten uns gut eincremen, wegen der reflektierenden Felsen. Als wir auf den ersten Parkplatz rollen, an dem sich auch ein kleines Infohäuschen befindet, ahnen wir noch nicht, wie sehr uns der Anblick von der kleinen Brücke, dem "Ponte Vecchio", nebenan begeistern wird. Hier, etwas weiter flussaufwärts führt der Fango noch Wasser. Auf den Felsen haben es sich einige Menschen bequem gemacht. Es sind nicht viele, es verläuft sich ganz gut. Ein paar junge Männer springen in eine tiefere Stelle. Alle haben Spaß und sind begeistert. Das ist der langsam fließende Teil des Fango, der der Sonne ausgesetzt durch ein felsiges Flussbett führt. Es gibt noch einen steileren, durch Wald führenden Teil. Der soll deutlich kälter sein. Die Straße führt noch einige Kilometer flussaufwärts. Man könnte auch hier schon den Flussverlauf hochwandern und an beliebiger Stelle Halt machen. Danach ist uns heute aber nicht. Wir entscheiden uns, nochmal ins Auto zu steigen und nach einem lauschigen Fleck Ausschau zu halten. Ähnliches haben scheinbar auch die Radfahrer vor, die sich nun wieder vor uns gesetzt haben.
Wir entscheiden uns für den obersten Parkplatz, kurz bevor sich die Straße vom Flussverlauf abkoppelt. Es haben sich hier bereits einige Familien bequem gemacht. Wir staksen einige Meter durch den Wald flussabwärts und sind plötzlich ganz allein. Der Fluss macht hier eine Biegung. Führte er noch einige Meter zuvor sehr flach durch die großen Steine, ist die Stelle hier tiefer, sodass man sogar schwimmen kann. Das Wasser ist glasklar und so warm, dass man sogar von der Sonne aufgeheizt einfach so reinspazieren kann. Die sattgrüne Natur, das angenehme Wasser und die Illusion der absoluten Einsamkeit sorgen für eine unglaublich idyllische Stimmung. Aus der Badestelle ragt ein großer Felsbrocken heraus. Auch unter der Wasseroberfläche hat er einige Ausläufer, auf die man sich wie auf eine Unterwasserliege legen kann. Eine Landschaft als wäre sie als Wellnesslandschaft designt. Auf der Wasseroberfläche sind nur einige Wasserläufer zu erkennen. Ab und zu eine Libelle, die vorbeifliegt. Wirklich nirgends Müll: Weder auf dem Parkplatz, noch am Flussufer oder gar im Fluss. Nicht ein Taschentuch, Bonbonpapier oder Dose. Uns ist es ein Rätsel, wie man das hier generell so sauber hinbekommt und auch erhält. Diesen Ort in Deutschland können wir uns bei aller Fantasie nicht vorstellen. Ich frage Teresa, welche Orte die für sie beeindruckendsten bisher waren. Also die Orte, die den nachhaltigsten Eindruck hinterlassen haben: Das Trusotal in Georgien und der Strand Li Cossi auf Sardinien. Ich komme zu einem ähnlichen Ergebnis. Und nun rutscht bei mir dieser Ort auf Platz eins. Es ist ein Ort, den man in der Erinnerung nur geglaubt haben wird, geträumt zu haben. Ein Ort, mit dessen intensiven Eindruck ich heute sicher nicht gerechnet habe. Ein kleines Paradies, das so perfekt und so unberührt wirkt, als wäre er eine Illusion.
Wir stärken uns mit ein wenig Obst. Die korsischen Pomelos sind ziemlich saftig und wohlschmeckend. Ziemlich guter Snack bei der Hitze. Als wir kurz darauf zusammenpacken, kommt eine Gruppe Jugendlicher und lässt sich an unserem Platz nieder. Auch gutes Timing, ihr kleines Erlebnis mit dem Paradies kann ganz ungestört beginnen, während unseres zu Ende geht. Durch das knöchelhohe Wasser waten wir wieder zurück an die andere Uferseite. Als ich mir die Füße abtrockne, steht - wie aus dem nichts - eine Kuh am Ufer. Sie stillt ihren Durst und ist kurz darauf genauso schnell wieder im Dickicht verschwunden, wie sie aufgetaucht ist.