Von einem Paradies ins andere? Unwahrscheinlich. Aber möglich! Trotz Vorbereitung haben wir uns nie ausmalen können, dass wir von der Schönheit der korsischen Landschaft an einem Tag gleich zweimal überwältigt werden. Heute haben wir alles richtig gemacht. Eigentlich haben wir ja nichts gemacht. Wir waren nur an den richtigen Orten zur richtigen Zeit.
Die Sonne brennt uns im Nacken. Wir haben uns im Paradies etwas verschätzt. Der Fahrtwind ist erfrischend. Je näher wir der Küste kommen, desto felsiger ist die Umgebung in Nähe der Straße. Der Fels hat hier zunehmend Tendenzen zum Rötlichen. Zuvor war er eher ockerfarben. Je weiter weg von der Straße, desto grüner die Umgebung.
Immer wieder halten wir an und bewundern den sattgrünen Küstenverlauf und das mit dem Himmel verschwimmende Meer. Der Horizont ist eher eine verschwommene Fläche als eine scharfe Linie. Die Straßen sind hier nicht mehr so großzügig bemessen wie weiter im Inland. Sie sind wieder eng und kurvig. Der Verkehr wird immer mehr, als wir Örtchen mit den wohlklingenden Namen wie Osani, Partinello oder Serriera passieren. Wie die Kuh am Fluss, also wortwörtlich aus dem Nichts, tut sich rechts unter uns der Blick auf ein Städtchen am Meer auf. Kurz darauf eine Haltebucht. Als ich den Motor ausschalte, höre ich die Wellen. Sie kommen in viel größeren Abständen als wir es hier bisher kennen. Sie haben einen kräftigen, dumpfen Klang. Das Schild an der Haltebucht kündigt an: "Bienvenue à Porto Ota". Der Ort, an dessen Strand die kräftigen Wellen auslaufen, das ist unsere neue Basis. Und der erste Eindruck ist malerisch.
In einer Bucht gelegen der flache Sandstrand. Der Hafen geht direkt in einen Fluss über. Die Boote schwanken gleichzeitig im Takt der Wellen. Davor schlängelt sich eine Straße. Entlang dieser Straße in einheitlichem Rotbraun verschiedene Gebäude. Als hielten sie sich alle an einen farblichen Kodex. Eines davon muss unser Hotel sein, das "Le Mediterranée". Es wirkt alles chic von hier oben, fast inszeniert. Das ist es wahrscheinlich auch. Eine kleine, von Menschen geschaffene Oase zum Träumen. Ich erwische mich dabei, zu Teresa zu sagen: "Muss das hier so schön sein? Mir gehen langsam die Superlative aus". Jedenfalls habe ich damit nicht gerechnet. Als wir die steile Straße ins Tal hinabfahren, müssen wir ein wenig suchen, bevor wir eine Pylone vor unserem Hotel beiseite schieben und parken. Der Eindruck der Inszenierung bestätigt sich hier immer mehr. Und auch das Innere des Hotels erdet uns schließlich willkommenerweise ein wenig. Gekünstelter Raumduft und 70er-Jahre-Pragmatismus. Dafür der Balkon mit herrlichem Blick direkt auf den Hafen und den Strand. Die Balkons sind zur oberen Hälfte hin durch Milchglasscheiben abgetrennt. Ob sich der Nachbar gerade auf dem Balkon befindet, erkennt man an den Füßen. Manchmal lugt einer untendurch und verschwindet schnell wieder. Die Franzosen hier scheinen ein wenig scheu zu sein. Jedenfalls lassen wir uns gerne auf diese Inszenierung ein.
Im Hafen decken wir uns mit dem Nötigsten ein: Wasser, Bier und einer Flasche kühlen Weißweins für den Sonnenuntergang. Ein Panini auf die Hand und schon überqueren wir die Brücke auf die andere Seite des Ufers. Überall befinden sich Bootstourenanbieter und kleine Bars und Restaurants. Sie folgen ihrem eigenen Chic: charmant-improvisiert. Die Sonne steht recht tief und scheint über der Landzunge hervor. Darauf etwas erhöht ein Genueserturm. Die Wellen peitschen den felsigen Küstenverlauf hoch.
Spätestens hier aber überwältigt uns die Lichtstimmung des mittlerweile eingebrochenen Abends. Wir durchqueren den oberen, mit Bäumen bepflanzten Teil des Strandes. In der Luft hängt der Dunst und die Gischt des aufgewirbelten Wassers. Im Gegenlicht der Sonne wirkt alles eher wie eine verträumte Wüstenszene, wie eine Wanderung in den Abend hinein, die gerade erst begonnen hat. Und das, obwohl einige Meter vor uns die Wellen bereits zu hören, aber noch nicht zu sehen sind.
Für die Vielzahl an Touristen, die hier aktuell untergebracht scheint, ist am Strand sehr wenig los. Es ist eher ein Kieselstrand, teils fein, teils etwas gröber. Wir suchen uns einen Platz am anderen Ende hinter dem Häuschen der Wasserrettung. Hier ist der Strand auch feiner. Trotz der hohen Wellen scheint das Häuschen nicht besetzt zu sein, es hängt keine Fahne. Aber es ist noch Vorsaison. Einige Franzosen und Deutsche scheinen hier vertreten. Nach und nach gesellen sich noch einige Pärchen, Familien und Grüppchen vom hinter uns gelegenen Campingplatz dazu.
Den ganzen Abend lang schauen wir der Sonne langsam beim Sinken zu, verdauen die Eindrücke des heutigen Tages. Den Wein trinken wir aus Pappbechern aus dem Hotel. Wir schauen dabei zu, wie sich einzelne Wellen zu größeren vereinen und dann mit noch größerer Wucht auf den Strand knallen. Wie sich die Kids nebenan immer weiter reinwagen. Auch wir wagen uns immer näher ran und werden von einigen besonders weiten Ausläufern überrascht. Wir schauen dabei zu, wie sich die Farbe des Himmels Minute für Minute ändert und die Umrisse der Halbinsel im Hintergrund immer schärfer und zackiger werden. Als die Sonne dann ganz verschwindet und langsam die blaue Stunde anbricht, bleibt nur noch der Dunst und die Gischt der aufgewühlten See. In der schroffen Landschaft um uns herum dominiert das Rot der schroffen Felsen und das Grün der Vegetation. Wenn das eine Inszenierung war, dann eine ziemlich bombastische. Die Erbauer des Dörfchens wollten da wahrscheinlich einfach nur mithalten. Es ist dunkel, als wir zum Hotel aufbrechen. Die Restaurants sind schon lange leer und geschlossen. Die einzigen, die noch unterwegs sind, sind die Zuschauer des Schauspiels, die das Finale so lange wie möglich herausgezögert haben. Darunter sind auch wir.