Seit einer knappen Woche sind wir auf der Insel. Und jeden Tag erleben wir mehr als deutlich, dass Korsika ein einziges großes Erlebnis für alle Sinne ist. In diesem Überfluss an Eindrücken hätten wir fast verträumt, dass wir ja eigentlich noch die Wanderung zum Capu Rossu machen wollten. Wir starten den Tag also mit einer Verlängerung unseres Aufenthalts in Porto um einen Tag. Gestern war der Rezeptionist leider schon weg.
Frühstück im Supermarkt
Dass das französische Frühstück und wir so langfristig keine Freunde werden, das haben wir schon begriffen. Umso erfreuter waren wir bei unserer Ankunft im "Le Mediterranée" über den Hinweis des Rezeptionisten auf das reichhaltige Frühstücksbuffet mit süßen und herzhaften Speisen. Wir entschieden uns, für 12 Euro pro Person einzuwilligen. Gestern dann die Ernüchterung. Sagen wir, es war eine Erfahrung der "weniger feinen Sorte", wenn man es wohlwollend ausdrücken möchte. Oder unverschämt. Sowohl was Angebot als auch die etwas fragwürdige Hygiene angeht. Für den Preis. Heute unternehmen wir stattdessen einen kleinen Ausflug zum ortsansässigen "Spar" mit angeschlossener Bäckerei. Die grüne Tanne der niederländischen Supermarktkette dominiert die Einkaufslandschaft Korsikas. Die Bäckerei liegt 1,3 Kilometer weiter die langgezogene Straße hoch am Ortseingang. Den morgendlichen Spaziergang nutzen wir, um ein Gefühl für den Ort zu bekommen. Es reiht sich kleines Hotel an kleines Hotel, Boutique an Boutique und Café an Café. Vielerorts wird in der Vorsaison renoviert. So malerisch der Blick in die Umgebung ist, so sehr sieht man, dass die Leute hier bemüht sind, die Ortschaft gepflegt zu halten. Vor Ort entscheiden wir uns schließlich für jeweils eine Pâte, süßes Brötchen und kleinen Kaffee. Entspannt beobachten wir die vorwiegend deutschen Campingplatzgäste beim Bestellen von Baguettes und Croissants, während wir uns über unsere herzhaft-süße Frühstückskombination im Außenbereich des Bäckers hermachen. Für deutlich weniger als die Hälfte des Preises gestern, sind wir um einiges zufriedener.
Glücklich und gut genährt treten wir den Rückweg zum Hotel an und wollen uns bis 14 Uhr nichts auferlegen. Ich komme ein wenig zum Schreiben. Schön im Schatten im Außenbereich des Hotels. Umgeben vom gerade ungeschäftigen Hotelpersonal, das sich ebenfalls eine Auszeit gönnt. Teresa erkundet derweil den Strand etwas genauer, schaut sich beim Genueserturm um und kommt freudestrahlend mit einem großen Eis zurück. Es ist Zeit, sich langsam für den aktiveren Teil des Tages bereit zu machen.
Mit rotem Kopf am roten Kopf
Unsere Knutschkugel ist wieder aufgeheizt wie ein Pizzaofen. Verdeck auf, Fenster runter, Rückwärtsgang und ab auf die Piste. Die eng gewundene Straße führt in Richtung des Nachbardörfchens Piana. Die Straße ist bekannt dafür eine der fotogensten Korsikas zu sein, liegt sie doch in den roten Felsen, die im Abendlicht regelrecht zu strahlen beginnen. Dieses Spektakel heben wir uns für heute Abend auf. Piana hingegen ist ein verschlafenes, aber touristisch geprägtes Dörfchen. Es wirkt bei der Durchfahrt gemütlich und verträumt. Vielleicht machen wir auch hier morgen nochmal Stopp. Die eng gewundenen Serpentinen setzen sich hinter Piana noch ein kleines Stückchen fort, bis sich die Landschaft in eine steppenartige Hochebene verwandelt. Das Meer, die Calanches und die vor uns liegenden Hügel rahmen dieses Landschaftsbild ein. Kaum ein Auto fährt hier vorbei. Wir halten kurz inne und genießen die absolute Stille in der Frühnachmittagssonne. Auch hier ist gleich die Assoziation mit Arizona da.
Gleich hinter den Hügeln liegt ein unscheinbarer, unbefestigter Parkplatz. Er ist so steil, dass Teresa Probleme hat, die Tür hinter sich zu schließen und ich auch nur mühsam aus unserem weißen Flitzer herauskomme. Wir sind am "Capu Rossu" oder "Capo Rosso" oder eben dem "Roten Kopf", wie es wortwörtlich übersetzt hieße. Dieser Ort ist übrigens der Grund, aus dem wir einen Tag in Porto verlängert haben. Er steht auf unserer "Unbedingt-Liste" und hält als häufiges Fotomotiv her, wenn es um Korsika geht. Das Capu Rossu ist eine unter Naturschutz stehende Halbinsel, auf dessen äußerster Erhebung sich ein Genueserturm befindet. Wir denken da gleich an La Revellata, bloß eben mit Genueser- statt Leuchtturm. Es beginnt mit einem seichten Auf und Ab. Uns kommen erschöpft aussehende Wanderer entgegen. Als wir am Schild mit der Aufschrift "1h50" vorbeiwandern, bin ich nach unserer letzten Erfahrung etwas skeptisch. Aber scheint realistisch, denn es deckt sich mit den Aussagen der Wanderreiseführer.
Auch diese Wanderung soll mit Kindern fetzen. Und das glauben wir, denn das Gelände ist hier noch entspannt. Dass empfohlen wird, wegen des mangelnden Schattens in den frühen Morgen oder späteren Nachmittagsstunden loszugehen, wissen wir auch. Wir ertragen die Hitze einfach irgendwie. Teresa recht entspannt, ich wieder ein wenig mumpelnd. Aber über mangelnden Schatten kann man sich zu der Jahreszeit eigentlich nicht beklagen. Immer wieder treffen wir auf ein erfrischend schattiges Wäldchen, durch das der Weg führt. Es sind viele Boote im Umkreis der Halbinsel unterwegs. Sie fahren vorwiegend in Küstennähe. Offensichtlich auch größere Ausflugsgruppen, die man bis hier oben plantschen und sich freuen hören kann. Dazwischen immer wieder Motorengeräusche. Einige kleine, yachtartige Boote liegen ruhig in den seichten Wellen schaukelnd vor Anker. Mitten im azurblauen Wasser. An der nächsten kleinen Landzunge ragt eine Steinsäule vertikal aus dem Wasser - fast wie ein Turm. An einer Stelle weit in der Ferne hat der Horizont eine blassgraue, kantige Stelle. Es muss ein Containerschiff oder ein großes Kreuzfahrtschiff sein. Wie viele Kilometer das wohl sein werden? Kleine Rechenübung für daheim. Die Macchia ist trocken. Der warme Geruch milden Kräutertees weht uns aus Richtung Meer entgegen. Diesmal ist der Geruch definierter, geht eher in eine Richtung als in ein Mischmasch. Deutlich herauszuriechen ist der Rosmarin. Die nadligen Büsche stehen überall am Wegesrand und übersähen die komplette Landschaft.
Wir bewegen uns tendenziell dem Meeresspiegel entgegen. Nur sehr wenige Leute sind unterwegs. Einige müssen von den ankernden Booten hochgekraxelt sein. Von dort scheint es auch einen Weg zu geben. Der Weg gabelt sich, wir nehmen den kürzeren. Der wird für den Hinweg empfohlen. Wir sind fast am äußersten Ende der Halbinsel. Vor uns türmt sich der Berg auf, an dessen Spitze der Genueserturm über die Umgebung wacht. Die gesamte Höhendifferenz des einstündigen Fußwegs müssen wir nun nocheinmal in die andere Richtung machen. Mir wird vom Gedanken ein bisschen schwindelig. Ich zögere unsere Pause hier an einer kleinen Steinhütte etwas heraus, nehme noch einen kräftigen Schluck warmen, faden Wassers. So hoch kann's ja nicht sein. Die Wanderpfade sind hier schmaler, die Macchia wächst mehr in sie hinein. In engen kurven und über manch größere "Stufe" geht's Meter um Meter aufwärts. Die Hütte hinter uns ist erfreulich klein geworden. Der Turm weit über uns ist es leider noch. Die Pausen werden wieder mehr. Die Wasserschlücke werden größer. Der Macchiapfad wird jetzt zu einer Art gewundenen, langen Felstreppe. Jede Windung keine zwei Meter lang, ehe es wieder in die andere Richtung geht. Rechterhand der blanke, rote Fels, während um den Pfad herum alles traumhaft grün bewachsen ist. Eine Szene wie in einem großen Themengarten.
Es sind viele, kurze Windungen, die es braucht um im Höhenprofil merklich vorwärts zu kommen. Dann wird die Flora wieder weniger. Wir finden uns plötzlich in einer blanken Felslandschaft wieder. Die Landschaft ist ockergelb, während die pralle Sonne auf den Fels knallt. Wir folgen den Wegmarkierungen. Schmale, vertikale weiße Streifen durchziehen den Fels an einigen Stellen so weit das Auge folgen kann. Es müssen irgendwelche Gesteinsschichten sein. Sie sehen ein wenig wie weißer Marmor aus. Mitten im Fels eine kleine Aushöhlung. Eine weiße Maria sitzt geschützt darunter und schaut ins offene Meer hinaus.
Ganz langsam flacht das Höhenprofil ab. Mein Mumpeln wird weniger. Wir laufen über ganze Felsterrassen und sehen endlich den Turm in fast greifbarer Nähe. Er steht hier unscheinbar auf der flachen Kuppe, fügt sich farblich wunderbar in die Felslandschaft ein. Wir blicken ein wenig in der Umgebung umher. Es führt eine schmale, steile Steintreppe den Turm hinauf. Er ist begehbar. Innen ist es willkommenerweise kühl. Die Fenster erinnern an Schießscharten. Sie geben nur einen kleinen Ausschnitt der Umgebung preis. Eine weitere Steintreppe führt von hier drinnen weiter nach oben. Wir müssen uns bücken, während wir sie hinaufsteigen. Oben dann die kreisrunde Plattform. Ein weiteres Paar ist hier oben und macht Pause und Fotos. Doch sie gehen kurz darauf. Wir blicken ihnen von oben noch hinterher, wie sie hinter den Felsterrassen verschwinden. Auch wir nutzen die Gelegenheit dazu, den Rucksack mal in die Ecke zu stellen und uns mit Zitronenmadelaines und Wasser zu stärken. Eine Kombi, die man unwillkürlich mit heißen Tagen in Verbindung bringen muss. Eine knappe halbe Stunde verbringen wir hier oben. Immer mal wieder in eine andere Himmelsrichtung blickend. Immer wieder erkennen wir neue Details. Da hinten die Küste mit den Calanches, da ein weiteres sich der Insel näherndes Boot, dort der Parkplatz, auf dem auch unsere Knutschkugel in der Sonne glitzert und weiter in Richtung Meer hinaus dann eine Insel in weiter Ferne, die uns auf dem Hinweg gar nicht aufgefallen ist.
Mit vielen schönen Eindrücken im Gepäck und dem Rucksack auf dem wieder trockenen Rücken widmen wir uns dem Rückweg. Erwartungsgemäß geht es wieder zügiger vorwärts. Schnaufend kommen uns Anfangzwanziger entgegen. Erst zwei muskulöse Jungs, bepackt mit Stativen und ausklappbarem Tisch. Dann das nächste Grüppchen. Sie tragen etwas, das ausschaut wie große Lautsprecher. Wir stellen uns immer geduldig an den Rand uns lassen sie in Ruhe vorbeigehen. Immer wieder kommen uns auf dem ersten felsigen Stück weitere junge Menschen entgegen. Wir grüßen uns immer freundlich mit einem "Bonjour!". Die meisten tragen etwas, die Mädels sind meist ungewöhnlich chic gekleidet für eine Wanderung, die Jungs gehören eher zur Muskelshirtfraktion. Unabhängig von Statur und Geschlecht ist ihr "Bonjour!" immer ein wenig leise und fast schon röchelnd. Wir vermuten, die jungen Leute kommen von den Yachten und wollen heute Abend mit einem fantastischen Blick ein wenig feiern. Ein kleines Stück müssen sie aber noch. Wir haben noch niemanden mit Getränken gesehen. Ab der Steinhütte geht es in flachem Profil wieder bergauf. Die Steigungen werden stellenweise steiler, die Pausen wieder einmal mehr. Der Rückweg zieht sich wieder wie Kaugummi. Ich versuche diesmal nicht, anhand des Hinwegs den verbleibenden Weg abzuschätzen. Aber es gelingt mir nicht. Trotz abnehmender Motivation versuchen wir immer wieder die Uhrzeit im Blick zu behalten. Im Anschluss, möglichst deutlich vor Sonnenuntergang, wollen wir noch die Calanches am "Tête de Chien" hochwandern. Das letzte kleine Stückchen kürzen wir dann ab. Wir stehen mitten auf dem staubigen, steilen Parkplatz. Die Wanderschuhe lassen wir gleich an und lassen erstmal die Hitze der Knutschkugel raus. Ob heute eine zweite Wanderung noch so gut ist?