Reiseskizzen Norwegen 2024

Stufe für Stufe

Schnaufend auf den Reinebringen

Mir ist nach Mumpeln zumute. Immer dann, wenn ich zwischen Stöhnen und Schnaufen noch eine Lücke finde und ein klein wenig Luft übrig ist, nutze ich sie leichtsinnigerweise zum Mumpeln. Einen Fuß schwer vor den anderen setzend, mindestens zwanzig Zentimeter hoch bis zur nächsten Stufe, kämpft die Resignation gegen den Trotz an.

Das Mumpeln ist ein Ventil. Zugegeben eins, aus dem kaum mehr Luft rauskommt, nur ein kümmerliches "Pfft". Zuletzt ist mir das in dem Ausmaß vor bestimmt zwei Jahren auf Korsika passiert.

Rückblick: Die Wanderung auf den Reinebringen, den Hausberg des Fischerdörfchens Reine, ist eines der Highlights jeder Lofotenreise. Schon bei der Reisevorbereitung wussten wir: Etwas mehr als 400 Höhenmeter, freundliche 1,1 Kilometer Strecke, ein Wanderweg vollausgestattet mit etwa 2000 steinernen Stufen. Ab und zu vernahmen wir in Reiseblogs den Warnhinweis, dass man diese Wanderung nicht unterschätzen sollte. Ach, wie schlimm soll's schon werden?

Schlimm. Zugegeben, ich bin nicht in Bestform. Aber mit schelmischer Genugtuung nehme ich zur Kenntnis, dass sogar Teresa schwitzt und ins Schnaufen kommt. Wir feiern Meilensteine mit etwas ausgedehnteren Pausen, erst bei Stufe 200, dann in 100er-Schritten. Ich "feiere" die Meilensteine etwas öfter als Teresa. Alle 25 Stufen halte ich für angemessen. Da ich plötzlich alles am Wegesrand interessant finde, gerne auch alle 10 Stufen.

Je kleiner die Straße wird, wenn wir hinter uns blicken, je mehr die Stille die ferner werdenden Motorengeräusche verschluckt, desto mehr setzt auch ein kleines Bisschen Triumph ein. Unmittelbar über uns zieht die dichte Wolkendecke zügig hinweg.

Die Wolken scheinen aus dem Nichts zu entstehen und verschlucken die Sonne in einem diffusen Leuchten. Es wirkt, als würden wir gleich in eine ganz andere Welt eintauchen. Es wird kühler, es wird feucht. Die Feuchtigkeit kondensiert an den Blättern der Pflanzen, der Farn wächst sattgrün. Allmählich ist auch unter uns von der Straße nichts mehr zu erkennen.

All das gibt Aufschwung. Ich denke, dass wir unser Tempo gefunden haben. Es ist langsam, aber unsere Bewegungen werden kontinuierlicher. Die Markierung kündigt Stufe 1700 an, der Rest ist nur noch ein Klacks. Stoisch setze ich meine unrunden, kontinuierlichen Bewegungen fort und habe keinen Blick mehr für die Umgebung. Das Schweizer Pärchen in sehr fortgeschrittenem Alter zieht frech an uns vorbei. Ich missbillige dieses Verhalten aber überspiele die Situation gekonnt mit einem schwachen Stöhnen. Die können jeden Tag üben, die sind im Vorteil!

Wir nähern uns den letzten Stufen. Sie führen zu einem Plateau, auf dem wir, wie die meisten anderen Wanderer auch, eine ausgedehnte Pause machen. Die Schweizer sind wahrscheinlich schon auf ihrer nächsten Wanderung.

Die Wolken verschlucken jeglichen Blick nach unten, wir blicken auf eine große, weiße Wand. Um 7:30 Uhr sind wir am Parkplatz losgewandert, etwa anderthalb Stunden haben wir bis hierher gebraucht.

Ab und zu blitzt für kurze Zeit ein Stück vom Hafen Reines diffus durch die weiße Wand hindurch. Mit der Zeit werden die Abstände merklich kleiner bis sich die Wolkenfront vorerst gänzlich aufzulösen scheint. Übrig bleiben Wolkenfetzen, auf spannende Weise den Blick mal auf den einen Teil des Panoramas, mal auf den anderen freigeben. Das letzte kurze Stück bis zum Gipfel, diesmal ohne Steintreppen, lässt sich sehr gut bewältigen. Die Pause war erholsam, der Ausblick ist Motivation genug.

Von hier oben kann man das Ausmaß der Inselkette erahnen. Wir erkennen Hamnøy und Sakrisøy. Beide Inseln sind viel winziger, als wir bei der Überfahrt erahnt haben. Der Ausblick ist mit dem Wolkenspiel wie ein spannendes Wimmelbild. Der Bergsee über Reine, der Hafen, das Dorf, die gewaltige Bergkette, die sich durch das Meer schneidet - all das ist Belohnung genug für die Strapazen.

Gut anderthalb Stunden werden wir hier oben verbringen und können uns an Eindrücken kaum sattsehen. Mit der Zeit füllt sich der Gipfel, es herrscht Gedränge, es wird laut. Langsam wird es auch für uns Zeit zu gehen. Der Abstieg läuft zäher als erwartet. Einerseits wegen der langen Menschenkette, die sich mit uns bergab bewegt, andererseits wegen des enormen Gegenverkehrs.

Wir lernen, dass auch der Abstieg nicht zu unterschätzen ist. Das "Treppabgehen" aktiviert Muskelgruppen, die wir - und den Gesprächen der anderen Absteiger nach zu urteilen - schon lange nicht mehr verwendet haben. Mit der Hälfte der Strecke werden langsam Beine und Knie weich, der Tritt instabil und wacklig. Auch auf dem Rückweg machen wir Pausen und beobachten die uns Entgegenkommenden in aller Ruhe dabei, welche Strategien sie sich für's Durchhalten zurecht gelegt haben. Der eine oder andere in sich Hineinmumpelnde findet sich in den verschiedensten Sprachen. Gekeucht wird in allen Sprachen scheinbar gleich. Auf jeden Fall sind wir froh, gegen halb zwölf wieder auf dem Parkplatz zu stehen, leicht erschöpft aber um so viele Eindrücke reicher!

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Sakrisøy Von Å bis Zimtschnecke