Zugegeben, wir haben recht lange überlegt, was wir im Falle guten Wetters heute machen sollen. Kurz war die Option offen, gegen Mitternacht nochmal den Reinebringen zu besteigen, um dann die Sonne im Südosten hinter der Inselkette um drei Uhr wieder hervorkommen zu sehen. Diesen Plan hingen wir aber mit Blick auf unsere geschundenen Körper wieder ganz schnell an den Nagel.
Stattdessen fahren wir wieder von Ramberg an der Nordküste Flakstadøyas aus an die Südküste der Nachbarinsel in Richtung Hamnøy, Sakrisøy und Reine. An der Nordküste hat man bei gutem Wetter einen "unverbauten" Blick auf die nie untergehende Abendsonne, im Süden erhoffen wir uns einige schöne Eindrücke mit der Bergkulisse und der Abendsonne.
Schon die Fahrt allein ist traumhaft und die Straßen fast leer. Es ist ein entspanntes Cruisen durch die sommerliche Polarregion. Kurz vor Reine machen wir einen längeren Halt, saugen die ruhige Atmosphäre auf.
Die Sonne wandert gerade die Bergkette entlang und hüllt die Rorbuer in ein angenehmes Orange. Sie spiegeln sich im ruhigen Wasser. Vor der Bergkette liegt eine Bucht. Eine Gruppe Kanufahrer kommt uns lautlos entgegen.
Die Lichtvielfalt ist unglaublich. In der einen Richtung gleißendes Warmweiß, das beim Fotografieren in Silhouetten denken lässt. In der anderen Richtung wird alles in einem ruhigen, warmen Orange bestrahlt. Dazu der blaue, leicht wolkenbesprenkelte Himmel. Beim Anblick der roten Bergkette fühle ich mich an die Calanches de Piana auf Korsika zurückversetzt.
Wir parken das Auto bei der Touristeninformation in Reine. Im Ort haben sich wohl die meisten Einwohner und Touristen in die Waagrechte begeben. Ab und zu kommt ein Camper vorbei, steuert auf den großen Overnight-Parkplatz zu. Einige wenige Wanderer steuern augenscheinlich den Reinebringen an.
Wir halten uns eine lange Zeit auf der Landbrücke auf, die in die Ortschaft hineinführt. Die magische Stimmung mit Blick auf die Bucht Reinevågen lässt uns nicht mehr los. Direkt vor uns die sattgrüne, sommerliche Pflanzenwelt, dahinter die Bucht, in die die Stege der roten Rorbuer hineinragen und im Hintergrund die massiven Gesteinsformationen, hinter denen die Sonne bald zu verschwinden droht. Wenn wir auf den Reinebringen blicken, erkennen wir vereinzelt sich bewegende Punkte. Dort scheint noch etwas los zu sein. Die Wanderer von vorhin werden aber sicher noch eine ganze Weile bis ganz oben brauchen.
Als es so weit ist und die Sonne hinter der Bergkette verschwindet, zieht ein leichter Wind zieht auf. Es ist kurz nach 12 und wir spazieren noch eine Weile durch das leere Örtchen. Ab und zu rollt noch ein Van herein in Richtung Parkplatz. Wir fahren nun gewissermaßen der Sonne hinterher, wieder in den Norden.
Der Rückweg stimmt uns nachdenklich: Wie viel Beeindruckendes werden wir hier noch sehen? Über drei Wochen bleiben wir noch und schon an den wenigen Tagen hat nahezu alles gepasst. Als wir wieder an der Nordseite der Inselkette sind, zieht sich ein schmales Wolkenband am Horizont entlang. Die Sonne liegt dahinter, das Licht wird weicher, es wirkt als würden wir uns der blauen Stunde nähern.